Auf Fotosafari im verlassenen Stadtbad Krefeld
Versteckt zwischen Gemüseläden, Nagelstudios und 1€-Shops mitten in der Fußgängerzone liegt ein echtes Juwel aus längst vergangener Zeit: Das Krefelder Stadtbad. Früher die wohl prunkvollste Badeanstalt im preußischen Kaiserreich, heute Lost Place, Filmkulisse und Kulturstätte. In meiner Jugend bin ich bei Shoppingtouren sicher unzählige Male an der eher unscheinbaren Fassade vorbei gelaufen, ohne zu ahnen was sich dahinter verbirgt. Doch das soll sich heute ändern: Ich bin mit Marcel Beging und Katrin Mevissen vom Verein Freischwimmer e.V. verabredet. Sie wollen mir zeigen, was sich im Inneren des Gebäudes verbirgt und wie sie als Bürgerinitative dem alten Gemäuer neues Leben einhauchen wollen.
Erbaut wurde das Stadtbad 1890, als sogenannter Startschuss der Preußischen Bäderkultur: Per Erlass sollte sich jeder Bürger 1x pro Woche baden können. So errichtete die damals dank des Handels mit Seide sehr reiche Stadt Krefeld einen Jugendstilbadepalast, mit getrenntem Herren- und Damenbad sowie an die Hundert Badekabinen mit Duschen und Wannen. Krefeld wollte wer sein zur Kaiserzeit und so ist es kein Wunder, dass das Stadtbad als der Schönste seiner Art im ganzen Deutschen Reich galt. Über 100 Jahre war das Bad in Betrieb, bis es im Jahr 2000 seine Tore für die Öffentlichkeit schloß. Zu alt, zu unmodern, zu teuer.
Mit dem Bad an der Neusser Straße sind viele Erinnerungen verbunden. Deshalb habe ich meine Mama dabei, die in den 60er Jahren als kleines Mädchen mit ihrer Oma häufig hier schwimmen war. Sie erinnert sich schon beim Betreten des Bades an den alten Ticketschalter, die Treppen hinauf zu den Hallenbädern und die kunstvollen Jugendstil-Fliesen und kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.
„Der Friseur hat mir mal den Pony geschnitten, als ich klein war! Als meine Haare nass waren, war der Pony zu lang – fand Oma. Danach war er zu kurz. Aber ich habe Gummibärchen bekommen!“ erzählt meine Mama über den Friseursalon im Bad. „Der war damals eine echte Institution in der Stadt.“ erzählt uns Katrin Mevissen.
Fast jeder Krefelder hat so eine Geschichte zum Stadtbad zu erzählen, weshalb sich 2018 eine Bürgerinitiative gebildet hat, die um den Erhalt und die weitere Nutzung des Hauses kämpft und Führungen wie diese anbietet. Wir laufen vorbei an Schaukästen, in denen Plakate aus längst vergangener Zeit hängen, durch die Fenster rankt Unkraut, eine dicke Staubschicht verdeckt die Farbpracht der Bodenfliesen.
Zuerst geht es in den ersten Stock, in dem sich die beiden Schwimmhallen des ehemaligen Herrenbades und des etwas kleineren Damenbades befinden. Wo früher nach Geschlechtern getrennt geschwommen wurde, können heute Kulturveranstaltungen stattfinden – Theater, Musik und Performances. Mir bietet sich ein regelrechter Architektur-Fotospielplatz aus Licht und Schatten, Formen und Farben. Meine Mama erinnert sich ihre ersten Schwimmzüge.
Unsere Tour führt durch ein kleines Labyrinth aus Gängen und schier hunderten Türen zu einzelnen Badekabinen verschiedenster Klasse. Mal dekadent befliest mit großzügigen Wannen, mal nur mit einer spärlichen Dusche ausgestattet. Ein Bereich des Bades, der Besuchern wie meiner Mama in späteren Jahren eher verborgen blieb, aber zur Zeit der Erbauung besonders wichtig war, da die meisten Menschen Zuhause über keine eigene Waschmöglichkeit verfügten. Bekannt dürften die Kabinen einem trotzdem vorkommen: Aus der Fernsehserie Babylon Berlin. Als Filmkulisse dient das Stadtbad oft, erst gerade wurde hier ein spektakulärer Showdown für den neuen Dortmunder Tatort gedreht.
Das Herzstück und der Namensgeber des Komplexes ist das Kaiserbad. Erbaut und ausgestattet für den Fall des Besuchs des deutschen Kaisers mit dem Besten vom Besten und den schönsten Verzierungen und Fliesen. Gebadet hat er hier jedoch nie.
Zum Schluss kommen wir zum eigentlichen Projektbereich von Freischwimmer e.V.. Aus dem etwas neueren Teil des Stadtbads und dem Freibad-Bereich entsteht dank einer Bürgerbefragung und unzähliger Stunden ehrenamtlicher Arbeit ein neues Zentrum für Kultur & Gastronomie. Marcel und Katrin schwärmen von dem bunten Mix aus verschiedenen Backgrounds innerhalb der Mitgliedern der Bürgerinitiative. „Jeder kann sich beim Projekt kreativ und nützlich einbringen, auch in völlig anderen Bereichen der eigenen Expertise“. Außerdem werden unter anderem auch Designstudenten der Hochschule Niederrhein mit einbezogen: So entstehen zum Beispiel aus den Türen ehemaliger Umkleidekabinen gerade Coworking-Tische. Auf dem Freibad-Becken wird eine Seebühne gebaut, aus den Sammelduschen wird ein Seminarraum, in den alten Filtersilos entstehen „Think Tanks“ und in riesigen Wasserkanistern betreibt der Verein Urban Gardening. Ein Ort an dem die Ideen sofort nur so sprießen – auch bei mir und meiner Mama – und man möchte fast gleich mit anpacken, denn die Passion der Ehrenamtlichen ist ansteckend. Das Stadtbad Krefeld und der Verein Freischwimmer e.V. sind wirklich ein großartiges Beispiel für Bürgerbeteiligung, wofür es auch den Creative.Spaces Award und den Heimatpreis des Landes NRW gab.
Ich bin gespannt, was dem Verein noch so alles einfällt und komme ganz sicher bald wieder – auf einen Drink mit Mama im Biergarten oder zum Coworken und Ideen fliegen lassen.
Der Verein Freischwimmer e.V. bietet je nach aktuellen Pandemie-Bestimmungen regelmäßig Führungen und Fotosafaris durch das Stadtbad an. Alle Infos hierzu und zur Bürgerinitiative findet man auf der Webseite.
Fotos & Text: Nina Hüpen-Bestendonk