Skip to main content

Du denkst, Karnevalsvereine sind nichts für dich? Denk nochmal! Hier kommt etwas mit dem du nicht gerechnet hast – die Rutfront Sie legt besonderen Wert auf eine vorbehaltlose Einbeziehung und unsere Solidarität mit den Menschen. Die Mitglieder sehen es als eine wichtige Aufgabe im Sinne der Brauchtumspflege an, den Karneval von faschistischen, rassistischen, sexistischen, antisemitischen und anderen menschenverachtenden, diskriminierenden Einflüssen, die dem Geist des Karnevals zuwiderlaufen, klar abzugrenzen. Wie fragt ihr euch jetzt… Autor Friedemann hat mit vier Mitgliedern gesprochen.

Ihr findet das Video auch auf Spotify. Dieses gibt es allerdings nur auf Deutsch.

Im Brauhaus

Ich sitze hier mit vier Genoss*innen vom Kölner Karnevalsverein Rutfront im Brauhaus Em Kölsche Boor. Wir haben Himmel un Ääd, Grünkohl mit Mettwurst und Kartoffelsuppe bestellt. Bis das Festmahl gebracht wird, stellt euch doch mal kurz vor! Wer seid ihr und wie seid ihr zum Karneval gekommen?

Andy: Ich bin der Andy und ich bin zu Karneval gekommen, indem ich in Köln geboren wurde.

Johanna: Ich bin Johanna, zwar nicht in Köln geboren, aber hier aufgewachsen. In Köln kriegt man den Karneval sehr früh mit. In der Grundschule lernt man die ersten Lieder und zieht sich coole Verkleidungen an.

Luki: Ich bin Luki und auch in Köln geboren und aufgewachsen. Karneval wird einem hier in die Wiege gelegt, von klein auf feiert man mit.

Nora: Ich bin Nora und komme aus Berlin, habe also früher nie Karneval gefeiert und mich auch als Kind super selten verkleidet. Seit elf Jahren lebe ich in Köln und habe mich die ersten zwei Jahre auch gegen Karneval gewehrt. Seitdem ich das erste mal gefeiert habe, war ich aber jedes Jahr dabei.

Seit wann gibt es euren Verein, die Rutfront, und warum habt ihr ihn gegründet?

Luki: Wir haben den Verein im Corona-Sommer 2020 gegründet.

Johanna: Es gibt ihn, weil wir alle Karneval sehr lieben, aber weil es auch leider Strukturen im Karneval gibt, die es nicht allen ermöglichen, befreit Spaß zu haben. Das betrifft auch Freund*innen von uns – und damit wir auch mit ihnen zusammen feiern können, haben wir den Verein gegründet.

Luki: Damit gemeint sind marginalisierte Gruppen, Frauen, People of Colour – also Menschen, die sich an Karneval in bestimmten Situationen unwohl fühlen, sei es durch Übergriffe oder durch rassistische und sexistische Kostüme. Der Karneval versteht sich als weltoffen und es passt einfach nicht dazu, wenn bestimmte Gruppen nicht mitfeiern können.

Nora: Wichtig ist uns, bei all diesen berechtigten Kritikpunkten: Wir lehnen den Karneval nicht ab, sondern wollen ihn unbedingt erhalten und weiterentwickeln. Wir wollen etwas verändern.

group photo of rutfront carnival club

Ihr beruft euch ja auch konkret auf die Tradition. Was macht euch denn traditionell?

Andy: Es ist schon wichtig, dass wir ein traditioneller Kölscher Karnevalsverein sind, weil wir Karneval in seiner Grundform mega geil finden – ihn aber in seiner heute bestehenden Struktur kritisieren und verbessern wollen.

Johanna: Wir spielen kölsche Musik und machen keine Techno-Party aus dem Karneval.

Nora: In vielen Karnevals-Songs geht es ja um Gleichheit – darum, dass jede*r mitfeiern soll, auch Personen, die anders aussehen, woanders herkommen oder eine andere Sprache sprechen …

Johanna: … oder die kein Geld haben.

Nora: Wir verkleiden uns auch gerne. Außerdem gibt es bei unseren Veranstaltungen neben veganem Mett auch klassische Mettigel aus Fleisch. Und natürlich gibt es Kölsch!

Johanna: Wir würden auch gerne mal einen Umzug organisieren oder beim Rosenmontagszug mitlaufen.

Andy: Und eine Sitzung einberufen. Vieles war bislang wegen der Corona-Situation schwierig. Wenn man gesetzlich feiern durfte, war das trotzdem mit angezogener Handbremse. Wir haben uns oft intern gefragt: „Können wir das grade machen? Ist das angemessen?“ Zum Karneval im Februar 2022 kam dann auch noch ein Krieg dazu. Wir haben mit unserem Verein noch gar nicht richtig Karneval gefeiert. Aber wenn das bald wieder geht, dann sind wir bereit!

Trotzdem wart ihr ja nicht untätig. Könnt ihr ein wenig über eure bisherigen Aktivitäten erzählen?

Luki: Wir haben ein Diskussionspapier erstellt. Darin haben wir verschiedene Themen, die uns wichtig sind, aufbereitet: Sexismus, Antisemitismus, Rassismus, Klassismus oder Kolonialismus im Karneval etwa. Dabei ging es für uns vor allem darum, eine Grundlage zu schaffen. Zum Beispiel: In manchen der traditionellen Karnevalsvereine dürfen nur Männer in die Führungsriege – das schließt schon über die Hälfte der Bevölkerung aus. Oft muss man in solchen Vereinen 5.000 oder sogar 10.000 Euro für eine Uniform bezahlen – das macht den Ausschluss umso größer.

Nora: Wir haben auch ganz pragmatisch Menschen auf der Straße befragt. Als Rutfront-Reporterin habe ich da schnell gemerkt, dass sich viele Menschen von unseren Ideen angesprochen fühlen. Es gab so viele Frauen, die uns von sexuellen Übergriffen erzählt haben. Ich habe auch die Story gehört, wie ein Mensch, der obdachlos aussah, von einer Veranstaltung fortgeschickt wurde und kein Bier bekam – dabei heißt es in einem berühmten Karnevalslied: „Drink doch ene mit“! Diese Straßenumfragen kann man sich in den Highlights auf unserer Instagram-Seite ansehen.

Luki: An Wieverfastelovend 2022 haben wir mit einem Soli-Schnaps 620 Euro Spenden für den Kölner Flüchtlingsrat gesammelt.

Andy: 2021 haben wir außerdem eine große, Köln-weite Plakatkampagne gestartet. Ganz spontan hatten wir die Gelegenheit auf Werbebildschirmen in der Stadt präsent zu sein. Über Nacht haben wir ein Plakat gestaltet und am nächsten Tag war es auf diesen riesigen LED-Screens zu sehen. Das war ziemlich abgefahren.

a speaker at the rutfront carnival club
cross-flute player at carnical

Mir geht seit einigen Jahren der Satz eines Bekannten nicht aus dem Kopf: Er sprach davon, dass Karneval ein psychedelisches Potential hätte – also dass er zur Veränderung des Bewusstseins der Gesellschaft beitragen könnte. Wie seht ihr das?

Nora: Als wir die Leute auf der Straße aufs Thema Verkleiden ansprachen, kamen viele ins Schwärmen darüber, wie geil es doch wäre, sich zu verkleiden, etwas selbst zu schneidern – jemand oder etwas anderes zu sein!

Andy: Im Karneval hat man sich ursprünglich ja gegen das Establishment aufgelehnt. Im Lauf der Zeit ist er selbst zum Establishment geworden. Wir wollen uns wieder etwas mehr auflehnen und rütteln.

Luki: Auch mit den Uniformen hat man sich ursprünglich über das Militär lustig gemacht. Heute sind sie Luxus.

Habt ihr auch eine Uniform?

Andy: Wir haben rot-weiß-goldene Schiffchen – also diesen spitzen Hut, den man im Karneval trägt. Langfristig soll es auch Uniformen geben, natürlich nicht für 5.000 Euro! Aber schon bei der Produktion der Schiffchen sind wir an Grenzen gestoßen. Es ist gar nicht so einfach, so etwas mit fair produzierten Stoffen herzustellen.

 

Wie seid ihr strukturell organisiert?

Nora: Ganz oben steht eine Frau – unsere Generalsekretärin Alina.

Luki: Dann gibt es das Zentralkommittee und einen Vorstand. Außerdem haben wir mehrere Unterkommittees: Das Fest-, Polit-, Propaganda- oder Finanzkommittee. Außerdem gibt es die „Bonze“ – also Leute, die den Verein mit Geld unterstützen, aber sonst nichts zu sagen haben. 🙂 🙂

Andy: Wichtig ist auch: Das Zentralkommittee teilt sich ausgeglichen in Frauen und Männer auf.

Johanna: Und in allen offiziellen Schreiben wird nur der weibliche Genus benutzt.

Wie wichtig ist euch Humor? Gerade dann, wenn man auch ernste Themen angeht?

Andy: Total wichtig. Das ist die Quintessenz des Kölschen Karnevals: Sich auf lustige Art und Weise über die Obrigkeit lustig zu machen. Das hat auch zum Beispiel Karl Küppers getan, der als Büttenredner gegen die Nazis ausgeteilt hat. Deshalb: Klar, Humor muss mit rein! !

rutfront shows banner with no carneval for nazis

Schau mal

An dieser Stelle kann man ja mal auf euer Video mit Büttenrede und Musik hinweisen

Habt ihr eigentlich Kontakte zu anderen Karnevalsvereinen? Wie wurde eure Gründung in Karnevals-Kreisen aufgenommen?

Andy: Also von den besagten, elitären Vereinen kennen wir oft nicht mal die Namen. Da gibt es keinen Kontakt.

Luki: Aber es gibt ja auch richtig gute Vereine. Wir stehen zum Beispiel im Kontakt mit den Kölschen Kippa Köpp oder der KG Ponyhof. Die haben Lust, mit uns zusammenzuarbeiten. Wir sind nicht die einzigen, die einen progressiven, freundlicheren, offeneren Karneval anstreben.

Nora: Aber wir sind der jüngste.

Andy: Christoph Kuckelkorn, der Chef des Kölschen Karnevals, hat uns schon angeschrieben. Er hat sich sehr darüber gefreut, was wir und andere als neue Strömung im Kölschen Karneval anstoßen. Also von oberster Stelle sind wir schon mal ausgezeichnet worden. Jetzt müssen wir auch untenrum abliefern.

digital group photo of rutfront carnival club

Ein großer Teil eurer Gründungsmitglieder ist Teil der Kölner Kunst- und Kulturszene. Kurz nach eurer Gründung habt ihr euch zum Beispiel beim politischen Kunstprogramm „Kölscher Herbst“ 2020 am Ebertplatz beteiligt. Seht ihr darin ein Potenzial, in anderen Kreisen zu wirken?

Nora: Auf jeden Fall. Auch in diesen Kreisen feiern viele Leute gerne Karneval, sind aber oft nicht selbst aktiv.

Andy: Oft feiert man als kunstschaffende Person an Karneval lieber zu Techno. Warum denn nicht zu der traditionellen kölschen Karnevalsmusik, die die selbe Idee von Gleichheit transportiert? Wenn Karneval in seiner Grundintention antirassistisch und antifaschistisch ist, dann können wir als traditioneller Karnevalsverein auch die Brücke zwischen der Tradition und der Kunstszene schlagen.

Nora: Auch wenn unser Verein aus einer Kölner Kunst- und Kulturbubble entstanden ist, muss das nicht so bleiben. Wenn jemand Lust hat, sich musikalisch zu beteiligen, eine Party zu organisieren oder eine Büttenrede zu schreiben: Sehr gerne!

 

Wie kann man sich denn bei euch beteiligen?

Luki: Wir treffen uns am 11. eines jeden Monats in der Bar „Pegel“ in der Brüsseler Straße 10 in Köln. Da kann man gerne vorbeischauen!

Nora: Wir freuen uns auf jeden Fall, wenn neue Leute dazukommen!

Andy: Alle sind willkommen!

Links:

https://rutfront.koelnhttps://www.instagram.com/rutfront/

https://rutfront.koelnhttps://www.instagram.com/rutfront/

Leave a Reply