Skip to main content

collectAR ist ein zentraler virtueller Ort, an dem digitale Kunstsammlungen, Kataloge und Künstlernachlässe auf der Grundlage kunsthistorischer Standards erstellt und verwaltet werden können. Autor Markus Sekulla sprach mit Gründerin Nathalie Krall über die Zukunft der Kunstgeschichte und die Möglichkeiten von Augmented-Reality-Anwendungen.

Hi, Nathalie, magst du dich uns vorstellen?

Hallo Markus! Vielen Dank und schön, dass es mit unserem Gespräch klappt! Mein Name ist Nathalie Krall, ich bin Kunsthistorikerin und Mitgründerin von collectAR (‚kə’lekta:r). Zusammen mit meinem Mitgründer Marco Ressler haben wir unser Start-Up am 21. Mai 2021 in Düsseldorf gegründet. Das Datum war mir sehr wichtig, denn der 21. Mai ist der UNESCO Welttag der kulturellen Vielfalt für Dialog und Entwicklung. Das passt also hervorragend, denn collectAR ist genau an der Schnittstelle von diesen Themen angesiedelt. Es geht bei uns um Kunst und Technologie, um digitale Transformation und kulturelles Erbe.

Das klingt ja spannend. Was genau ist euer Angebot?

Der englische Begriff “collectar” beschreibt eigentlich ein mittelalterliches Manuskript, in dem Sammlungen zusammengeführt werden, zum Beispiel von liturgischen Lesungen. In unserem Unternehmensname “collectAR” steckt dann aber auch die Erinnerung an den “collector”, den englischen Kunstsammler, und das AR ist ein Hinweis auf die Technologie der Augmented Reality. Und um all das geht es bei collectAR.

Das Herzstück von collectAR ist unsere cloud-basierte Kunstverwaltungsdatenbank. Die entwickeln wir nach kunstwissenschaftlichen Standards als einen zentralen virtuellen Ort, an dem digitale Kunstsammlungen, Werkverzeichnisse, und Künstler:innennachlässe angelegt und verwaltet werden können. Die Kunstwerke, die dort eingepflegt werden, können dann über unsere selbst entwickelte Augmented-Reality-Technologie in der realen Welt erlebt werden. Das kann man sich vorstellen wie eine virtuelle holografische Ebene, die über das Smartphone oder das Tablet dem physischen Raum hinzugefügt wird. Virtuelle Kunstobjekte und Kulturgüter erscheinen dann lebensecht in der eigenen Umgebung, so als wären sie wirklich da. Das ist das Großartige an AR, denn anders als bei der VR, also der virtuellen Realität, bleibt bei uns das wirkliche Umfeld immer sichtbar und man bekommt einen realitätsnahen Eindruck davon, wie Kunstwerke im Original wirken. Das funktioniert bei uns mit zweidimensionalen und dreidimensionalen Bilddateien.

Außerdem kann man mit collectAR diese neue Art des Kunsterlebens auch noch mit einem multimedialen Storytelling ergänzen. Das können Texte oder Bilder sein und auch Audio und Video sind technisch möglich. Damit können synchron zum AR-Erlebnis audiovisuelle Hintergrundgeschichten über die Künstler:in oder das Kunstwerk vermittelt werden. Man kann also zu Hause, in einem Museum, in einer Galerie oder auf einer Kunstmesse mit dem digitalen Zwilling von Kunstwerken und Kulturgütern interagieren und dabei noch eine ganze Menge spannender Dinge lernen.

Okay. Und wie kommt man als kunstinteressierter Mensch an ein Kunstwerk in AR?

Wir richten uns mit collectAR zunächst einmal an “Art World Professionals”, also an Menschen und Institutionen, die professionell in der Kunstwelt unterwegs sind: Künstler:innen können collectAR zum Beispiel nutzen, um ihr Œuvre, also ihr Gesamtwerk, zu dokumentieren. Galerien können mit unserer AR ein globales Kunstpublikum erreichen. Und Museen können ihre Sammlungen oder Ausstellungen mit uns durch virtuelle Kunstobjekte erweitern, die sonst gar nicht Teil der Präsentation sein könnten. Man denke nur an Kunstwerke, die sich in anderen Ausstellungshäusern befinden oder im hauseigenen Depot oder die gar gestohlen, verschollen oder zerstört sind.

Diese Nutzer:innen können ihre digitalen Bilddaten und weitere Informationen über unsere Kunstverwaltungsdatenbank einstellen. Das funktioniert über einen personalisierten Zugang, damit die Nutzer:innen zu jeder Zeit die volle Kontrolle über ihr vielleicht sensibles oder urheberrechtlich geschütztes Material behalten. Erst wenn collectAR beauftragt wird, arbeiten wir mit den Daten und erstellen daraus unsere sogenannten “AR-Reels”. Die sind über eine URL oder einen QR-Code erreichbar, die wir den Nutzer:innen exklusiv zur Verfügung stellen. Ab da ist es ihnen völlig selbst überlassen, was sie damit tun. Sie entscheiden, wie sie die AR-Reels verwenden und an wen und wann sie die Zugänge bereitstellen. Ein Link oder QR-Code zur AR-Reel kann zum Beispiel an potenzielle Kunstsammler:innen verschickt, auf Webseiten eingebunden oder auf Flyer gedruckt werden. Der Phantasie der Nutzer:innen sind keine Grenzen gesetzt.

Für die Endnutzer ist der Zugriff auf die URL oder den QR-Code von unserer Seite aus völlig kostenlos und wird nochmal attraktiver, weil unsere AR browser-basiert ist. Man braucht also keinen Download und keine Installation, um die AR-Reels von collectAR zu erleben und muss sich auch nicht anmelden oder registrieren. Alles, was man braucht, ist eine stabile Internetverbindung, ein Endgerät, das AR unterstützt und den richtigen Browser. Aktuell funktioniert collectAR in Google Chrome für Android und im Mozilla WebXR Viewer für iOS, mit einer Light-Version in Safari. collectAR gehört damit gegenwärtig zur technologischen Avantgarde und wir werden unsere Lösungen in der Zukunft kontinuierlich weiterentwickeln, um immer mehr Menschen diese Art des digitalen Zugangs zur Kunst zu ermöglichen.

Kulturelle Teilhabe ist mir sowohl analog als auch digital sehr wichtig. Ich bin frisch gebackenes Vorstandsmitglied der Kulturliste Düsseldorf e.V., die sich schon seit einem Jahrzehnt für die kulturelle Teilhabe aller Menschen in Düsseldorf und Umgebung einsetzt. Kulturelle Teilhabe ist ein Menschenrecht und ich bin fest davon überzeugt, dass Kunst und Kultur maßgeblich für interkulturelle Verständigung und eine demokratische Gesellschaft sind. Um das erreichen zu können, muss aber jeder Mensch erstmal Zugang erhalten.

Bei der Kulturliste Düsseldorf e.V. arbeiten wir an diesem Ziel, in dem wir Menschen mit wenig oder keinem Einkommen kostenlosen Eintritt zu kulturellen und sportlichen Veranstaltungen ermöglichen. Bei collectAR arbeiten wir an diesem Ziel, indem wir digitale kulturelle Teilhabe mitdenken und eine technologische Möglichkeit geben, mit der Kunst unabhängig von allen äußeren Umständen erlebt werden kann. Wenn es eine AR-Reel von einem Kunstwerk gibt, ist es nicht mehr relevant, wo auf der Welt sich jemand, ob persönliche, gesundheitliche oder politische Umstände einen Zugang zur Kunst im richtigen Leben gerade nicht möglich machen oder ob eine der vielen Krisen, die wir erleben, die Ausstellungshäuser dazu zwingt, wieder einmal ihre Türen zu schließen. Mit unseren AR-Reels sind die Kunstwerke ganz nach den Möglichkeiten des Einzelnen jederzeit, überall und für alle Menschen zugänglich und bleiben so lange digital erreichbar, wie die Nutzer:innen wollen.

Bei collectAR sehen wir diese Art der Förderung und Bewahrung von Kultur als unsere Berufung. Kultur und Natur sind für uns die beiden höchsten Güter, die wir als Menschheit haben. Deswegen sind wir besonders stolz, in Düsseldorf das erste Unternehmen zu sein, dass die “Nachhaltigkeitsdeklaration im Kulturbereich” anerkannt und unterzeichnet hat. Wir sind damit eine Selbstverpflichtung eingegangen, die Förderung und Erreichung der globalen Ziele der Agenda 2030 mitzudenken. Die Arbeit an den 17 globalen Zielen ist die aus unserer Sicht wichtigste Aufgabe für alle Menschen, die heute leben.

Was erwartet euch in 2023?

Wir haben viel vor in diesem Jahr! Unsere Lösungen sind alle entwickelt und voll funktionell und es soll im Frühjahr im Rahmen eines Großprojekts losgehen mit dem Verkauf von AR-Reels. Später im Jahr folgen dann Ausstellungsprojekte, bei denen die physisch vorhandenen Kunstwerke mit Werken in AR ergänzt werden und so eine neue Art hybrider Kunstschau entsteht. Als erstes arbeiten wir aber gerade an einem Imagefilm, in dem collectAR zu einer Art “Matchmaker” zwischen einem Kunstliebhaber und einem Kunstwerk wird. ❤️

Im Sommer wird es dann für mich als Düsseldorfer Kulturschaffende nochmal besonders aufregend: Ich bin eine der glücklichen Empfänger:innen des 360-Grad-Stipendium, das letztes Jahr vom Kulturamt der Stadt Düsseldorf, der Bürgerstiftung, der Kunst- und Kulturstiftung der Stadtsparkasse Düsseldorf und der Stadtsparkasse Düsseldorf selbst ausgeschrieben wurde. Bei meinem Projekt will ich Innovation mit Tradition verbinden und mit Hilfe der AR von collectAR Kunstgeschichte in den Düsseldorfer Stadtraum bringen.

Düsseldorf hat ja eine enorm wichtige Bedeutung für die Kunstgeschichte in Deutschland und auch international. Während wir heute mit unserem Weltklasse-Ausstellungsprogramm und der Art Düsseldorf eine moderne Kunstmetropole sind, kann Düsseldorf aber auch auf eine lange (Kunst-)Geschichte zurückblicken. Besonders die Strahlkraft der Kunstakademie lockte im 19. Jahrhundert viele Künstler aus aller Welt hierher, die gemeinsam lernten, arbeiteten und sich gegenseitig mit Ideen befruchteten. Die Spuren dieser Künstler:innen finden sich zum Beispiel namentlich überall im Stadtraum: Die Schadowstraße in der Innenstadt und der Mintropplatz in der Nähe vom Hauptbahnhof und die Schillstraße in Hassels sind nur ein paar Beispiele von Straßen, die nach Mitgliedern der Düsseldorfer Malerschule benannt sind. Die meisten Menschen, die tagtäglich über diese Straßen gehen oder fahren oder an Straßenbahnhaltestellen warten, wissen das vielleicht aber gar nicht.

Mit meinem Projekt soll man im öffentlichen Stadtraum auf Spurensuche gehen können, nach den Düsseldorfer Künstler:innen, nach Stadtansichten, die wir aus Gemälden der Zeit kennen oder zu interessanten Aussichtspunkten. Dort soll man dann durch AR sehen können, wie es früher dort aussah und mehr darüber erfahren, welche Geschichte und Geschichten mit dem Ort verbunden sind. Die ersten Stationen meiner “Straßen-Kunst-Geschichte(n)[and story]” will ich zum bundesweiten Digitaltag am 16. Juni 2023 zugänglich machen. Das soll sehr niederschwellig passieren, indem Jugendliche, Bürger:innen und Tourist:innen über eine Online-Karte gezielt oder zufällig die Kunst- und Kulturgeschichte der Stadt real-digital erkunden können. Falls das Projekt in der Zukunft fortgeführt wird, könnten Stationen in Etappen oder als ganze Routen erlebt werden. Über diese zeitgemäße digitale Kunstvermittlung durch AR hinaus ist es mein Wunsch, dass Menschen das für sie vielleicht Alltägliche und Bekannte mit neuen Augen sehen, mit dem Smartphone als Zeitmaschine. Dass mein Projekt zeitlich mit dem 250. Geburtstag der Kunstakademie zusammenfällt, muss wohl Vorsehung sein! 😉

Super! Wo kann man mehr Informationen zu collectAR und euren Projekten finden?

Unsere Webseite collectar.org ist noch im Werden, aber man kann sich dort schon für unseren Newsletter eintragen. Außerdem sind wir mit dem Handle collectar_org auf Instagram unterwegs und man kann Marco und mich persönlich auf LinkedIn finden.

Natürlich möchten wir den Leser:innen von urbanana jetzt auch die Möglichkeit geben, sich selbst ein Bild von collectAR zu machen. Deswegen gibt es extra für euch eine exklusive AR-Reel mit einem gemeinfreien Kunstwerk von Julius Hübner (1806-1882), einem der wichtigsten Vertreter der Düsseldorfer Malerschule. In unserer Reel seht ihr das Dreierportrait der Düsseldorfer Maler Carl Friedrich Lessing, Carl Ferdinand Sohn und Theodor Hildebrandt – nach denen jeweils auch eine Straße in Düsseldorf benannt ist. Das Original des Kunstwerks befindet sich heute in der Alten Nationalgalerie in Berlin. Viel Spaß beim Entdecken!

collectAR urbanana

ar.collectar.org/urbanana

 

Vielen Dank für deine Zeit und den tollen Input, Nathalie!

 

Sehr gerne. Danke dir, Markus.

Photos by collectAR/Nathalie Krall.

Leave a Reply