Einer der wohl größten städtebaulichen Gegensätze findet sich auf dem Campus der Ruhr- Universität in Bochum. Mitten in der Natur oberhalb des Kemnader Sees entstand nach dem Krieg ein brutalistisches Areal. das neben grauen Fassaden, Treppen und Bodenplatten aus Sichtbeton auch einen der schönsten botanischen Gärten Deutschlands beherbergt. Hier kommen nicht nur Architekturliebhaberauf ihre Kosten, sondern auch Menschen, die sich nach Ruhe und Natur sehnen.
Als erste Universitätsneugründungnach dem Zweiten Weltkrieg mitten in einer Arbeiterregion gilt die Ruhr-Universität als Symbol für den bildungspolitischen Neubeginn der Nachkriegsjahre. Die kreuzförmige Anordnung der Gebäude ermöglicht kurze Fußwege zwischen den einzelnen Gebäuden. Im Schnittpunkt der beiden Achsen liegen die Zentralbibliothek, die Mensa und das Audimax, die alle Anfang der 70er Jahre errichtet wurden. Das Audimax ist architektonisch besonders interessant: Durch seinen Grundriss und die trapezförmigen Giebel des geneigten Daches erinnert das Gebäude an eine Muschel – ein Verweis auf die Idee der Universität als Hafen im Meer des Wissens“. Direkt gegenüber steht die Zentralbibliothek als Paradebeispiel für die Skelettbauweise des gesamten Campus. Zusammen mit dem einheitlichen Rastermaß und den für den Brutalismus typischen Betonfertigteilen garantierte sie eine schnelle Bauzeit.
Auch wenn es auf dem Campus teilweise Stellen gibt, wo man außer grau keine andere Farbe sieht, schlägt sich die Natur hier und da durch. Was in den siebziger Jahren als neu und modern galt, ist heute deutlich in die Jahre gekommen. Hier und da bahnt sich Unkraut seinen Weg durch den Beton, an anderen Stellen entdeckt man Bemühungen, den Campus heute etwas grüner und freundlicher zu gestalten. Der Kontrast könnte kaum größer sein und doch ist der Übergang fließend. Viele der Gebäude werden seit einigen Jahren schon saniert und erneuert. Doch eines bleibt damals wie heute gleich: Die gigantische Aussicht vom Plateau des Audimax herunter auf Klosterbusch und Lottental bis hin zum Kemnader See.
Die Treppen hinunter, südlich des Campus befindet sich der Botanische Garten der Ruhr Universität als öffentlicher und kostenloser Park. Die Gewächshäuser beherbergen berühmte Riesen-Seerosen, unzählige Kakteen und tropische Pflanzen. Die unterschiedlichsten Pfade führen einen immer tiefer ins Tal. Besonders sehenswert ist der Chinesische Garten „Qian Yuan“, der wie eine kleine Oase ganz abgeschlossen innerhalb des Parks liegt und einst ein Geschenk der Partneruniversität in Shanghai war. Hier gehen Architektur und Natur eine harmonische Verbindung ein. An den Vormittagen unter der Woche kann man hier ganz allein den Wasserfällen lauschen und sich für einen Moment nach Asien träumen oder meditieren. Noch ein Stück weiter in Richtung Ausgang liegt einer der Instagram-Hotspots des Gartens: der Tertiärteich, der einen Eindruck vom subtropischen Klima vermittelt, das vor rund 20 Millionen Jahren in Europa geherrscht hat. Hier stehen Sumpfzypressen im Wasser, umsäumt von Farnen und anderen Sumpfpflanzen. Durch den Teich führt ein – wieder ganz im Kontrast zur Natur – geometrisch angelegter Steg, der die Besucher wieder zu den Tropenhäusern zurückführt.
Bei einem Besuch der Ruhr-Universität lohnt es sich also, beide Seiten kennen zu lernen, den Brutalismus und die Botanik.
Fotos/Illustrationen/Text: Nina Hüpen-Bestendonk