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Wie kommt ein Junge aus dem Pott dazu, den Teppich neu zu erfinden? In einer Zeit, in der alle auf blanken Beton- und Holzböden leben? Und wie hat er es bloß angestellt, die größten und exklusivsten Teppiche der Welt zu entwickeln? Für Könige und Präsidenten, für Luxus-Modehäuser und Popstars? Die Geschichte von Jan Kath klingt wie ein Märchen aus 1001 Nacht. Er erzählt sie uns in seinem 2000 Quadratmeter großen Headquarter in einer alten Bochumer Fabrikhalle, gebettet auf einem Stapel seiner erlesensten Teppiche, die er „Wohlfühlinseln“ nennt. Es ist die Geschichte von einem, der auszog, die Welt zu bereisen, schließlich in Nepal strandete und dort sein Glück in einer Teppichmanufaktur fand. Heute ist Jan Kath einer der weltweit einflussreichsten Teppichdesigner, mit Showrooms in Bochum, Berlin, Köln, Stuttgart, New York und Vancouver. In Nepal arbeiten 1200 Menschen daran, seine Entwürfe in Handarbeit wahr werden zu lassen, in Marokko und der Türkei wird nach alter Tradition für ihn geknüpft, in seiner Wahlheimat Thailand stellt er Teppiche halbmaschinell her. Die Designs sind eklektisch. Jan Kath verbindet Muster aus der Zeit des Sonnenkönigs Ludwig XIV. mit Kulimalerei, lässt Oberflächen gekonnt künstlich altern, bannt Wolkenberge und Nordlichter auf die Böden – ein schier unerschöpfliches Spektrum. In unserem Gespräch enthüllt der Weltenbummler, welcher Teppich ihm am liebsten ist, dass er immer noch das Bochum-Lied pfeifen kann und mit welcher Business-Aktion bei ihm der Knoten geplatzt ist.

Jan, du entwirfst Teppiche, die mit ihrer völlig neuen Ästhetik das angestaubte Image des alten Orientteppichs komplett hinter sich lassen. Wie kommst du als Junge aus dem ‚Pott‘ dazu, Teppiche neu zu erfinden?

In den 50er, 60er, 70er Jahren gab es in fast jeder großen deutschen Stadt das erste Teppichhaus am Platz, und in Bochum führten dieses Haus meine Eltern. Nach dem Krieg hatten sie sich in der Stadt ein Nest geschaffen, hatten Bochum als interessanten Standort identifiziert, weil es eine aufstrebende Stadt war. Hier gab es viel Kohle- und Stahlindustrie, und die Steiger und die Direktoren, die mussten sich ja alle einrichten. Wenn man eine Gardine haben wollte, dann kam man zu uns, zu Keil und Kath, und auch dann, wenn es darum ging, einen deutschen Orientteppich zu erstehen. Ob dieser Teppich nun maschinell produziert war oder tatsächlich aus dem Orient stammte – bei Keil und Kath konnte man sich auf die Qualität verlassen.

Als junger Mann bist du erst mal auf Reisen gegangen.

Das stimmt, ich wollte mit Keil und Kath zunächst nichts zu tun haben, war ganz anders orientiert und in meiner frühen Jugend eher der Anarcho-Autonomen-Szene zugetan – das stand im Gegensatz zu dem, wo ich herkam. Auf der anderen Seite hat mich mein Vater sehr geprägt, ein Typ, der mit beiden Beinen auf der Erde stand und der seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowohl im Haus als auch in der Produktion immer sehr wertgeschätzt hat.

Verbindest du diese Bodenständigkeit mit dem Ruhrgebiet? Diese Einstellung zur Arbeit und der Zusammenhalt der Leute, ist das eine Mentalitätsfrage?

In meiner Familie war es so: Es gab die mütterliche Seite, die Jägers. Das waren Leute, die eingefahren sind oder in der Stahlindustrie gearbeitet haben. Mein Großvater mütterlicherseits hat sich beispielweise zum Gießermeister hochgearbeitet. Auf der anderen Seite gab es die Händler der Kath-Familie. Sie kamen aus Bochum-Oberdahlhausen, während die Jäger-Familie aus Unterdahlhausen stammte. Da prallten schon zwei Welten aufeinander und man musste sich zusammenfinden. Aber ich glaube, ich konnte aus beidem schöpfen.

Ich denke, man kann ohne Übertreibung sagen: Du bist maßgeblich mit dafür verantwortlich, dass der Teppich im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte in die Wohnzimmer stilbewusster Leute zurückgekehrt ist, auch international betrachtet. Wann wurde diese Trendwende für dich spürbar?

Tatsächlich habe ich versucht, diese Trendwende zu lancieren, die Entwicklung also selbst zu steuern. Ich kann mich genau erinnern: Vor gut 20 Jahren haben wir unser erstes großes Katalogprojekt produziert, damals noch analog in der Zeche Zollverein. Ich habe meine letzten Kröten zusammengekratzt, um den Fotografen zu bezahlen – das war die beste Entscheidung meines Lebens! Denn so wurden wir zu einer Marke und sind seitdem unseren Weg gegangen. Nahm man vor 20 Jahren ein Architektur- oder Designmagazin zur Hand, fand sich kein einziger Teppich in einem Interieur. Wenn man heute ein Magazin aufschlägt, egal welches, stellt man fest: Es gibt eigentlich nichts, was ohne Teppich funktionieren würde. Und ich denke, daran haben wir tatsächlich unseren Anteil.

Deine Familie ist bereits in der dritten Generation im Teppichgeschäft. Was verbindet dich emotional mit dem Teppich?

Es hat viel mit Erinnerungen zu tun. Ich lebe heute noch auf einem Teppich, den mein Vater mir zu meinem 14 . Geburtstag geschenkt hat, ein altes persisches Stück in einer bestimmten, traditionellen Knüpfung, die sich Bidjar nennt. Das ist auch heute noch eine der strapazierfähigsten Knüpfungen, die wir so kennen. Der Teppich ist klein, 2,5 Quadratmeter, ich habe ihn mir die ersten Jahre an die Wand gehängt. Mittlerweile sitze ich jeden Abend darauf.

Vor gut 20 Jahren haben wir unser erstes großes Katalogprojekt produziert, damals noch analog in der Zeche Zollverein.

Ich habe mal gelesen, du hättest keine Teppiche in deinem Loft.

Doch, ich habe Teppiche. Ich bin allerdings umgezogen. Bis vor Kurzem habe ich über der Firma gewohnt. Schau mal hier über uns, das Fenster zur Halle: Das war mein Wohnzimmer. Aber Anfang des Jahres entschied ich mich, doch etwas Abstand zu gewinnen und mir ein kleineres Apartment zu nehmen. Meine zwei großen Söhne und meine kleine Tochter leben alle drei nicht bei mir, dementsprechend brauche ich einfach keine 350-Quadratmeter-Etage. 70 Quadratmeter reichen mir völlig, zumal ich auch viel unterwegs bin. Es dauert vielleicht noch ein bisschen, aber wenn ich den Stab irgendwann an meine Kinder weiterreichen darf, möchte ich gerne nach Thailand ziehen.

Schon heute lebst du zeitweise in Chiang Mai, pendelst zwischen Bochum, Thailand, New York, Nepal und der Türkei. Warum weiterhin Bochum? Was fasziniert dich am Ruhrgebiet?

Ich könnte jetzt sagen: Die Leute sind real. Aber eigentlich geht es in erster Linie um meine Familie, die sich vor 70 Jahren entschieden hat, hier sesshaft zu bleiben, und die ganz viel aus der Stadt gezogen hat. Ich will nicht sagen, dass ich das jetzt zurückgeben möchte, aber ich fühle mich als Bochumer Junge, ich kann das Bochumer-Jungenlied pfeifen. Irgendwie fühle ich mich zugehörig.

Bochum ist also noch immer deine Heimat?

Absolut, obwohl wir hier nicht wirklich kommerziell erfolgreich sind. Unser Geschäft ist heute ein anderes: Wir bedienen die Kunden in New York, Los Angeles, Vancouver, Riad und Beijing. Das hat sich schon verändert. Früher, bevor es richtig losging, hatte ich einen kleinen Passat-Kombi. Da haben genau 14 Teppiche reingepasst, und die habe ich dann durch die Fußgängerzonen geschleppt, um sie den Eigentümerinnen und Eigentümern zu bringen.

Heute kosten deine Teppiche auch mal 2.700 Euro pro Quadratmeter. Ist das noch Kommerz oder schon Kunst?

Das Urteil überlasse ich anderen. Wenn wir einen Preis aufrufen, dann heißt das nicht, dass hier jemand absahnt. Es ist einfach der Preis für dieses Produkt. So und so viele Menschen haben daran so und so viele Monate gearbeitet, und natürlich muss am Ende auch derjenige der mit dem Produkt handelt, ein bisschen Geld verdienen. So kommt der Preis zustande. Aber er ist real und kein künstlicher, fiktiver Preis, wie zum Beispiel bei manchen Modemarken. Außerdem versuchen wir Sachen zu machen, die heute angesagt sind, aber morgen auch noch. Meine Kids finden gut, was ich mache – ich konnte nicht wirklich cool finden, was mein Vater und mein Großvater gemacht haben.

Dein Beispiel zeigt: In der Ästhetik eines Produktes liegt auch ein Nachhaltigkeitsaspekt verborgen. Das Thema spielt in der Teppichproduktion ja generell eine wichtige Rolle und du hast dich von Beginn an damit auseinandergesetzt.

Nachhaltigkeit kommt mit Natürlichkeit. Ich möchte nicht sagen, dass uns die Nachhaltigkeitsdiskussion nicht berührt, natürlich tut sie das. Aber wir mussten da niemals hinterher sein, wir waren immer ganz vorne mit dabei – ohne das vor uns hertragen zu wollen. Es liegt in der Natur der Sache.

Also daran, wie ihr produziert? Eure Wolle kommt aus Nepal.

Wir haben einen sehr, sehr hohen Wollverbrauch. Es liegen ungefähr fünf Kilogramm Wolle in einem Quadratmeter, und durch Reinigen, Waschen und Färben hat man rund 50 Prozent Verlust. Dennoch versuchen wir, die Wolle nicht bei indischen Großspinnereien zu kaufen, sondern in Tibet, wo wir sie für ein oder zwei Jahre vorbuchen. Die Schäfer, das sind Nomaden. Sie sind mit ihren Tieren in den Bergen unterwegs, müssen aber trotzdem wissen, wer ihnen in den nächsten zwei, drei Jahren die Wolle abnimmt. So versuchen wir, zehn Bauern zu identifizieren, die gute Qualität liefern, und buchen dann bei ihnen vor.

Und dann geht die Wolle in die Fabrik?

Dann kommt die Wolle zu uns ins Tal, nach Katmandu. Früher haben wir sie tatsächlich selber gewaschen, heute übernehmen dies Wäschereien für uns. Dann kommt die Wolle zu uns zurück und wir kämmen und verspinnen sie.

Also ihr habt den kompletten Produktionsprozess unter Kontrolle.

Ja, absolut. Nur deswegen können wir diese hohe Qualität produzieren.

Du warst 21 Jahre alt, als du die Produktion in Nepal gegründet hast. Was hat sich dort am stärksten verändert?

Heute sind die Knüpferinnen und Knüpfer, die im Alter meiner Kinder sind, mindestens genauso informiert wie Kids bei uns. Einfach, weil sie Zugang zu den gleichen digitalen Medien haben. Sie können mit ihrer Oma telefonieren, während sie knüpfen, oder sie können sich unsere Webseite angucken und sich ein Bild davon machen, wo das, was sie herstellen, hingeht. Das gab es früher einfach nicht, damals waren sie komplett abgeschnitten. Das, was mit der nepalesischen Gesellschaft in Katmandu geschehen ist, ist bemerkenswert. Innerhalb von zehn, fünfzehn Jahren wurden sie ins 21 . Jahrhundert katapultiert. Diesen Prozess mitzuerleben war extrem interessant.

Vielen Dank, Jan, dass du dir die Zeit genommen hast. Wir haben uns sehr gefreut, dich hier treffen und zu sehen, dass du – man kann es nicht anders sagen – trotz deines riesigen internationalen Erfolgs auf dem Teppich geblieben bist.

Text: Ilona Marx
Fotos: Sebastian Wolf