Skip to main content

Der Kölner Künstler Walter Dahn ist in vielen Disziplinen zu Hause – der Malerei, der Fotografie, dem Siebdruck, ja sogar der Musik. Nun hat er gemeinsam mit dem Kölner Label Speaking Garments eine kleine Mode-Edition entwickelt, die seine Kunst nicht nur erlebbar, sondern sogar tragbar macht.

„I left you my dreams on your answering machine“ steht in türkisfarbener gedruckter Schreibschrift auf dem schwarzen Sweatshirt, ein Zitat aus dem Song „Come On“ von The Verve. Das Sweatshirt ist eines von fünf Teilen, die das Kölner Label Speaking Garments in diesem Frühsommer lanciert hat, und wir sind heute in der Domstadt, um hinter die Kulissen der spannenden Zusammenarbeit eines berühmten Beuys-Schülers und eines nachhaltig arbeitenden Modelabels zu blicken. „Was war deine erste Platte?“ Walter Dahn, 68, dunkelblaues Poloshirt, grau melierte Locken und ein neugieriger Blick, empfängt uns mit einer Frage, und sofort sind wir in ein lebhaftes Gespräch über Musik vertieft, lachen über meine Jugendsünde, Hubert Kahs „Sternenhimmel“. Er schwärmt von seiner ersten Single „Wild Thing“ von den Troggs. „Das war absolut prägend. Und ist es bis heute.“ Wir sitzen im Hallmackenreuther am Brüsseler Platz. Gerade hat Dahn hier mit seiner Tochter zu Mittag gegessen: Spaghetti Bolognese.

„Junge Wilde“ oder auch „Neue Wilde“, mit diesem Etikett versehen stürmten Walter Dahn und die Künstlergruppe Mülheimer Freiheit in den 1980ern die Kunstszene. Dahn, der am 8.10.1971, am Tag seines 17. Geburtstags, in der Klasse von Joseph Beuys als einer der Jüngsten sein Studium aufnahm, der sich mit Druck, Malerei, Fotografie ausdrückte und in Sigmar Polke seinen zweiten großen Lehrer fand, ist ein Geschichtenerzähler vor dem Herrn. Seine Erinnerungen kulminieren in höchst spannenden Exkursen, die sich zu einer assoziativen Schnitzeljagd fügen, quer durch die 70er, 80er und 90er. Begegnungen mit Andy Warhol, Jean-Michel Basquiat, Anselm Kiefer, Imi Knoebel, seine innige Verbundenheit zu der Galeristin Monika Sprüth, eine intensive Freundschaft mit George Condo und Richard Prince, all das liefert Stoff, der Bücher füllen könnte.

Mit diesem Mann ausschließlich über Mode sprechen zu wollen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Aber dennoch, auch dazu hat er eine Haltung. Sein Verständnis von Mode ist stark mit seinem Erleben von Musik verknüpft. „Roxy Music sind die eleganteste Band aller Zeiten. Sie waren die Ersten, die nach den Hippie-Jahren wieder kurze Haaren hatten und Anzüge trugen. Seit ihren Anfängen kam man sicher sagen: Sie sind die erste postmoderne Band.“ Walter Dahn nippt an seiner Cola. „Ich habe mich immer für Pop als Möglichkeit – und als Begriff – interessiert. Als Abkürzung von populär. Vom Volk fürs Volk. Ob Film, Mode oder Musik, für jeglichen Ausdruck von Popkultur.“ In Dahns Fall hieß das: Punk. „Punk war meine erste persönliche Berührung mit Mode: Violette Leopardenhose, zerrissene Lederjacke, Bundeswehrstiefel“, grinst er in der Rückschau. Später habe er die Belgier bewundert. „Einmal habe ich ein sündhaft teures, bronzefarbenes Dries-Van-Noten-Kleid gekauft – das wurde dann in Videos und auf Fotos eingesetzt und später Teil meiner Ausstellung. Durch Wasser und Schlamm gezeichnet.“

Die KritikerInnen beschrieben seine Kunst als „zuckende Jubelmalerei“, nannten ihn „Öl-Punk“. Stört es ihn, heute noch als der „Junge Wilde“ klassifiziert zu werden? Und das, wo die Gruppe Mülheimer Freiheit nur anderthalb Jahre bestand? „Ich habe gelernt, damit umzugehen.“ Parallel zu seiner künstlerischen Karriere ist Dahn seit 1996 Professor an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. So fesselnd, wie er über sein Leben erzählt, ist er mit Sicherheit ein guter Lehrmeister.

Sampling ist ein wichtiges Thema in seiner Kunst. Die Kollab mit den Kölnern von Speaking Garments zeugt davon. Das Label, das gemeinsam mit KünstlerInnen Kapselkollektionen entwickelt, die in limitierten Auflagen verkauft werden, entstammt der Feder von Lina Miccio. Sie hat mit ihren Kollektionen eine zugängliche und erschwingliche Form des Sammelns etabliert. Walter Dahn befindet sich in guter Gesellschaft. Vor ihm haben bereits Michail Pirgelis, Jan-Ole Schiemann und die Brüder Gert und Uwe Tobias mit Miccio zusammengearbeitet, die sich in ihrem Herzensprojekt Speaking Garments von ihrer Affinität zu Mode und Kunst leiten lässt. „Walter Dahn war ein Wunschkandidat für meine vierte Kollab. Seine Geschichte und seine starke Prägung durch die Musik haben mich gereizt“, erklärt Miccio, die gerade hereingekommen ist und sich nun zu uns setzt. „Dahn spielt selbst seit Jahrzenten in einer Band, er ist ein Sammler und Archivar von popkulturellen Bildern und Zitaten, das fand ich spannend.“

Ob Lina Miccio ihn überzeugen musste? „Nein, gar nicht! Ich war sofort begeistert“, sagt Walter Dahn, dessen Meisterschüler Gert und Uwe Tobias die letzte Edition von Speaking Garments mitgestalteten. „Wir kannten uns vom Sehen, tranken oft beide unseren morgendlichen Kaffee in der kleinen Metzgerei Schmitz an der Aachener Straße“, erinnert sich der Künstler. Bei einer Ausstellung von George Condo in Frankfurt dann sahen sie sich wieder – und Lina Miccio realisierte, wer der lässige Typ, der sich morgens mit dem Hoodie seinen ersten Kaffee genehmigte, war. „Ich bewunderte seine Arbeit und wusste von seiner Geschichte, aber ihn persönlich kannte ich noch nicht.“

Aus dem Treffen ist eine Kollaboration erwachsen und eine Kollektion, die Miccio in enger Abstimmung mit dem Künstler entwirft: ein Hoodie, ein Mantel, ein Sweatshirt, ein Seidentuch und eine Tasche. Allesamt aus biozertifizierter Baumwolle und Seide entwickelt, bedruckt und genäht in Köln. Miccio, deren Atelier sich nur fünf Gehminuten vom Hallmackenreuther entfernt auf der Benesisstraße befindet, spricht heute mit Walter Dahn über die letzten beiden Teile, die die Capsule Collection komplettieren sollen. Die Tasche und das T-Shirt. Sein Lieblingsstück, der Hoodie, ist schon fertig. Auf seinem Rücken: eine Stickerei von zwei musizierenden Schildkröten. Die eine spielt Ukulele und singt, die andere hält ein Tamburin und tanzt. Kreiert von einem deutschen Grafiker, ist die Zeichnung auch auf dem Cover des Albums „Terrapin Station“ von Grateful Dead zu finden. Das schien mit doch sehr passend. Darunter eine klare Message: Only music can save us.

Seine Zitate könnten auch als Teil eines popkulturellen Quiz herhalten. Müssen sie zwingend erkannt oder entschlüsselt werden? „Eigentlich nicht. Das Zitat auf dem Sweatshirt, „I left you my dreams on your answering machine“ – das sagt einem auch etwas, wenn man nicht genau weiß, wo es herstammt.“

In Miccios Augen hat Dahn eine wilde und eine sanfte Seite. Diese Facetten zeigt der knielange Mantel, der Elemente aus drei Werken des Künstlers vereint: Eines ist der Slogan „Punk is the sound of my soul“ aus dem Werk „Midnight Confessions, 2014“, gedruckt auf ein abnehmbares Baumwollbanner. Dahinter verbirgt sich die hellblaue Textstickerei über die Träume auf dem Anrufbeantworter aus dem Werk „Faxmessage, 1997/2003“. Der Zweigdruck auf der Vorderseite des Mantels referiert auf sein Werk „Untitled (Soultree), 2015“. Der Mantel wurde in einem aufwändigen Siebdruckverfahren bedruckt, einer Technik, derer sich Dahn selbst häufig bedient. Jedes der auf 50 Stück limitierten Exemplare wird von einer lokalen Schneiderin handgefertigt.

Das passt zu Dahns Haltung: Er war schon immer gegen kapitalistischen Ehrgeiz, gegen die Logik der Karriere, gegen Heuchelei professioneller Vermarktung. Mode jenseits des großen Kommerzes, das reizt ihn. Ob Beuys ein solches Projekt auch unterstützt hätte, ist unsere letzte Frage. „Unter Umständen, ja“, sagt Dahn. „Er hat ja sogar Reklame für Whisky in Japan gemacht, die ‚Lost in Translation‘-Geschichte also schon vorweggenommen. Er war sehr offen für diese Dinge.

Auch Lina Miccio brennt für Mode jenseits von Kommerz und möchte die Kunst für sich sprechen lassen. Ihre limitierten Editionen sind für sie der Schlüssel. „Ich könnte mir auch vorstellen, spezielle KünstlerInnenkooperation zu machen, die exklusiv für einen einzelne/n EinzelhändlerIn ist.“ Ob sie uns schon die nächste verrät? Nein, darauf dürfen wir noch gespannt sein. Oder, um es etwas poppiger zu sagen: We stay tuned.

Text: Ilona Marx

Fotos: Thekla Ehling