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Düsseldorf und Duisburg sind zwei Städte, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Auf der einen Seite die wohlhabende, wirtschaftlich prosperierende, schicke Landeshauptstadt, auf der anderen das gerne als abgehängt und gänzlich unglamourös beschriebene Duisburg. Wer einen Blick hinter diese Klischees riskiert, findet hier und dort viele Überraschungen. Zum Beispiel auf einer Radtour von Düsseldorf nach Duisburg.

Radler, Jogger, Skater

Ausgangspunkt der Tour ist die Düsseldorfer Rheinterrasse. Von hier aus ist Duisburg, so die Beschilderung, 28 Kilometer entfernt. Zweieinhalb bis drei Stunden sollte man, wenn man gemütlich fährt und ohne elektrische Verstärkung unterwegs ist, dafür einplanen. Die ersten 14 Kilometer folgen dem Rhein stromabwärts und sind den meisten Landeshauptstädter:innen wohlbekannt, ist doch die Strecke nach Kaiserswerth beziehungsweise Wittlaer eine beliebte Feierabend- oder Wochenendtour. Ab Höhe Messe/Arena radelt man unbehelligt von Autos auf dem Rheindeich.

Trotz der Breite des asphaltierten Wegs kann es hier schon mal eng werden. Jogger, Skater, Spaziergänger und Radler, sie alle streben gen Düsseldorfer Norden. Vorbei an grasenden Schafen (links) und Pferden (rechts) geht es nach Kaiserswerth. Akustisches Erkennungszeichen: Akkordeon-Klänge, vorgetragen von mindestens drei Musikanten im Viertel. Hauptsehenswürdigkeit im Quartier ist die Kaiserpfalz, 1184 als gigantisches Bauwerk von Kaiser Friedrich I. Barbarossa errichtet, bildet die imposante Ruine bis heute ein Denkmal aus längst vergangener Zeit.

Bratwurst, Limo, Kartoffelsalat

Hinter Kaiserswerth verläuft der Weg dann näher am großen Strom, die Auen sind breit und mit Kopfweiden gespickt. Erste Häuser und ein Kirchturm künden von Wittlaer. Es ist ausgerechnet Düsseldorfs wohlhabendstes Viertel, das an das vergleichsweise finanzschwache Duisburg grenzt. In der Gartenwirtschaft Schwenke Aschlöksken, die gleich hinter der Stadtgrenze liegt, herrscht schon Duisburger Preisniveau vor: Bratwurst vom Grill, Alt, Limo, Steaks, Kartoffelsalat und Kuchen sind für kleines Geld zu haben.

Unzählige Ausflügler, in der Mehrzahl Radler, wissen das zu schätzen. Das Aschlöksken präsentiert sich maximal bodenständig. Man bedient sich selbst. Im Anschluss lässt man sich auf einem der kunterbunten Plastikstühle im weitläufigen Garten des Lokals nieder. Oder gleich auf dem Deich, vom dem aus sich prima versonnen auf den Rhein schauen lässt. Das Risiko, an dieser Stelle den kompletten Tag zu vertrödeln, ist groß. Hier braucht es einen starken Willen, um wieder aufs Rad zu steigen – und die Fahrt gen Duisburg fortzusetzen. Aber, so weit das Versprechen: Es lohnt sich.

Kleingarten, Sportverein, Hundeschule

Hat man das Aschlöksken passiert, entfernt sich der Weg vom Rhein – und die Szenerie ändert sich schlagartig. Die starken Unterschiede, die man den benachbarten NRW-Städten nachsagt, sie finden hier ihre Entsprechung in Bildern. Hohe Schornsteine und rauchende Schlote zeugen von der Stahlindustrie im Duisburger Süden und zeichnen ein Pott-Bild wie aus den 1960er Jahren. Zunächst aber geht es durch den Stadtteil Serm, einst von Bauern gegründet und bis heute bekennendes Dorf geblieben. Wenn nicht gerade Karneval ist, was hier ausgiebig gefeiert wird, geht es ruhig und beschaulich zu. Und ein bisschen exotisch: Bei „Viet Serm“ darf man direkt auf der Dorfstraße die Küche Südostasiens probieren.

„Kann was“, bestätigt ein Passant mit Hund auf Nachfrage. Nach Überquerung der B288 erreicht man die Schrebergartensiedlung „Gute Ernte“. Neben den obligatorischen schwarz-rot-goldenen wehen hier auch die blau-weißen Fahnen des MSV, vereinzelt ist auch der BVB mit Fans vertreten. Oppas mit Radio am Lenker fahren wie in Zeitlupe durchs Bild, jene Sorte, die schon bei zaghaften Sonnenstrahlen ihr bares Bäuchlein zeigt und „immer was zu kamellen“ hat, wie man hier sagt. Lovely Ruhrgebiet! Hinter Sportverein und Hundeschule trifft man auf den Schwarzbach, an dessen Ufer man von nun an ein Stück weit entlang radelt. Bis ins Duisburger Zentrum sind es noch 10 Kilometer.

Kunst, Hafenanlagen, Hüttenwerk

Plötzlich und unerwartet erhebt sich wenig später auf einem grünen Hügel die Skulptur „Tiger & Turtle“. Die einzige begehbare Achterbahn der Welt wurde im November 2011 eröffnet. Duisburgs Oberbürgermeister nannte sie damals vollmundig „einen der schönsten Orte Deutschlands“ und lag damit offenbar gar nicht so falsch. 250.000 Besucher kamen allein in den ersten anderthalb Jahren. Dort, wo einst eine Industriebrache war, genießen nun Menschen aus aller Welt den imposanten Blick über das benachbarte Hüttenwerk Krupp Mannesmann und die Hafenanlagen von Logport II. Kurz hinter der Landmarke taucht man in ein Wohngebiet ein. Über teilweise arg reparaturbedürftige Straßen gelangt man in den Stadtteil Wanheimer Ort und ebenda zum Wanheimer Rheinufer, einer seltsamen Melange aus Uferpromenade, begrünten, baumbestandenen und durch Gewerbe und Industrie geprägten Abschnitten.

Schrottimmobilien, Spielhallen, Sportgarderobe

Kurz darauf ist man in einem Kiez angelangt, das als durchaus problematisch gilt. Wenn von Duisburg-Hochfeld die Rede ist, geht es nicht selten um Schrottimmobilien, Zugewanderte aus dem Südösten Europas, Prostitution und den Arbeiter-Strich. Probleme, die nicht von der Hand zu weisen sind. Zwischen Café Plovdiv und Bäckerei Istanbul, zwischen Spielhallen und Woolworth spielt sich das Leben überwiegend auf der Straße ab. Die allgegenwärtigen jungen und älteren Männer in Sportgarderobe und Badeschlappen wissen wohl selbst nicht so genau, wie sie diesen und die vielen folgenden Tage rumbringen sollen.

Capoeira, Konzerte, Cupcakes

Aber auch Hochfeld ist mehr als nur Klischee. Der 2009 fertiggestellte Rheinpark bietet viel Platz zum Fußballspielen, Skaten oder Picknicken. Das parkeigene, direkt am Rhein gelegene Café Ziegenpeter legt Wert auf ökologische Nachhaltigkeit und wird von Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam betrieben. Und das Hausprojekt Hochfeld möchte das in Verruf geratene Quartier mittels Capoeira, Yoga, Jam-Sessions und Konzerten bunter und lebenswerter machen. Im Erdgeschoss des Hauses an der Johanniterstraße 28 findet sich die Krümelküche, Duisburgs erstes veganes Café. Wer angesichts von Lavendel-Mohn-Cupcakes oder gefüllter Aubergine mit Reis, würzigem Hack, Joghurt- sowie Harissasoße und Granatapfelkernen so kurz vor Ende der Tour immer noch nicht schwach wird, mag es vermutlich ungesünder und sollte noch zwei Kilometer weiter fahren. In der Untermauerstraße, einer unscheinbaren Sackgasse am Rande der Innenstadt, offeriert der City Grill Frittierware aller Art. Seit 1964 gibt es den Imbiss mit der gelben Markise, dem gelben Mülleimer und der gelben Tonne, die als Stehtisch dient, bereits.

Prominente Gäste waren in der Vergangenheit unter anderem Ex-Kanzler Gerhard Schröder und Horst Schimanski. Tatsächlich sind die Pommes so gut, dass sie die knapp 30 Kilometer lange Anfahrt locker wert sind. Vor der Rückfahrt nach Düsseldorf – wahlweise mit dem Rad oder sonst in 15 Minuten via Zug ab Duisburg-Hauptbahnhof – sollte man unbedingt noch den Werken zweier international bekannter Künstler einen Besuch abstatten: Die U-Bahnstation König-Heinrich-Platz wurde 1988 von Gerhard Richter und seiner damaligen Schülerin und späteren Ehefrau Isa Genzken gestaltet. Und in der Fußgängerzone Königstraße ist der kunterbunte Brunnen mit der Figur der französischen Künstlerin Niki de Saint Phalle, der im Sommer von Kindern gerne als Planschbecken zweckentfremdet wird, nicht zu übersehen. Zumindest um diese beiden Werke dürfte die schicke Landeshauptstadt das bodenständig-liebenswerte Duisburg beneiden.

Unterwegs anschauen:

Kaiserpfalz, Burgallee, Düsseldorf

Tiger & Turtle, Ehinger Str. 117 (im Angerpark), Duisburg

Rheinpark Hochfeld, Liebigstr. 70, Duisburg

Life Savor, Brunnen von Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely, Königstraße Ecke Düsseldorfer Straße, Duisburg

Wandbild von Gerhard Richter und Isa Genzken, U-Bahnhof König-Heinrich-Platz, Duisburg

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