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Die Arena ist der Prototyp des modernen Fußballstadions. Hochmodern und multifunktional, aber in den Augen vieler Romantiker*innen auch gleichförmig, seelenlos und Sinnbild für die Kapitalisierung des Sports. Wo sind sie hingekommen, die alten Fußballtempel aus Beton, die Tribünen aus Holz? Einige von ihnen verfallen still und leise vor sich hin, andere sind bereits Wohnsiedlungen gewichen, und wenn sie doch saniert werden sollen, geht das oft nicht ohne Komplikationen… Friedemann Dupelius hat sieben verlorene oder vergessene Fußballorte in urbanana besucht und mit der Kamera dokumentiert. Die Reise geht von Köln-Weidenpesch bis nach Oer-Erkenschwick. Eine Hommage an Flutlichtmasten, Wellenbrecher und Holzbänke.

Sportpark Weidenpesch, Köln

Fazinierend, fast surreal ist die Szenerie: Die 1920 errichtete Zuschauertribüne des Sportparks Weidenpesch im Kölner Norden rottet vor sich hin. Der Beton ist von Grafitti übersät, Wind pfeift durch die zerborstenen Gläser und allerlei Gewächse können wuchern und ranken. Köln verfügt über vielleicht den „Lost Fußball Place“ schlechthin. 1905 und 1910 fanden hier die Endspiele um die deutsche Fußballmeisterschaft statt. Noch bis 2002 nutzte der VfL Köln 1899 das Stadion für Kreisliga-Spiele, im selben Jahr drehte hier Sönke Wortmann Szenen für seinen Film „Das Wunder von Bern“.

Danach begann der Verfall… Seit 1989 steht die Tribüne unter Denkmalschutz. Eine Petition setzte sich 2019 für die Sanierung ein, doch bislang herrscht morbider Charme um die Ecke der Rennbahn des Kölner-Reitvereins, der vor der Tribüne derweil seine Pferdetransporter parkt…

Glückauf-Kampfbahn Gelsenkirchen-Schalke

Hier wirbelte er vor fast 100 Jahren – der berüchtigte „Schalker Kreisel“ um Ernst Kuzorra und Freiz Szepan. Die Glückauf-Kampfbahn wurde 1927/28 auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Consolidation errichtet. Das für 34.000 Menschen ausgelegte Stadion war zu klein für das fußballverrückte Gelsenkirchen, weswegen der FC Schalke 04 1973 ins neu erbaute, größere Parkstadion zog. Die Tribünen in der Glückauf-Kampfbahn begannen zu verfallen, bis drei davon in Erdwälle umgewandelt wurden. Die 1936 erbaute Haupttribüne ist denkmalgeschützt. Vor ihr spielt heute auf dem Kunstrasen die DJK Teutonia Schalke-Nord – aber auch Kids aus der Nachbarschaft wissen, dass es hier geheime Zugänge gibt…

Stimberg-Stadion Erkenschwick

Die Geschichte der SpVgg Erkenschwick ist eng mit dem Auf und Ab des Bergbaus verbunden. Von 1929 bis 1934 wurde das Stimberg-Stadion (ursprünglich: Hindenburg-Stadion) vornehmlich von Erwebslosen auf dem Gelände der Zeche Ewald Fortsetzung gebaut. Deren Krise ab den 1980ern schmälerte die wirtschaftliche und somit sportliche Leistung der SpVgg, die zwischen 1974 und 1981 insgesamt drei Jahre die Zweite Bundesliga ins nördliche Ruhrgebiet brachte. Die SpVgg Erkenschwick spielt in der sechstklassigen Westfalenliga, doch die Atmosphäre am Stimberg zwischen Erdwällen und Waschbeton (letzte Renovierung: 1976!) bietet erstklassige Fußball-Romantik.

Bökelberg Mönchengladbach

„Hier hat irgendwo einer ein Loch reingemacht“, sagt der Bewohner der Bökelberg-Wohnsiedlung, der hier gerade seine Hecke stutzt, und zeigt auf die Wiese. „Da soll wohl die Eckfahne gewesen sein.“ Wo einst die Bayern abgefertigt und deutsche Meisterschaften gefeiert wurden, erinnern heute noch die tribünenartig angelegten Erdwälle an das alte Bökelberg-Stadion, dessen letzter Flutlichtmast 2006 fiel. Seit 1978 wurde der mythisch aufgeladene und bereits 1919 erbaute Fußballtempel nicht mehr renoviert. 2004 zog Borussia Mönchengladbach in die neue Arena am Nordpark um und die Transformation des Bökelbergs zum Wohnquartier begann. Erdwälle, Geländer, Fahnen, eine Erinnerungsstätte und die nostalgischen Erzählungen mancher Anwohner halten ein Stück des Mythos hier lebendig.

Wersestadion Ahlen

Zwar zählt Ahlen nicht mehr zum Ruhrgebiet, doch gibt es auch hier mit der Zeche Westfalen eine Bergbau-Tradition. Entlang der Ahlener Zechenkolonie schlängelt sich das Flüsslein Werse, direkt dahinter liegt das 1949 erbaute Wersestadion (Fassungsvermögen: 12.500) – das bis 1997 den Namen „Glückaufkampfbahn“ trug. Hier malochen die Spieler von Rot-Weiss Ahlen (früher: LR Ahlen). Nach ein paar Jahren Zweite Liga spielt man heute in der viertklassigen Regionalliga West. 1997 letztmals renoviert, ist das Wersestadion etwas in die Jahre gekommen – doch Gilb und Wellblech versprühen ihren eigenen Charme, und mit einer Entfernung von nur zwei Metern zum Spielfeld lädt der Tribünenbesuch zum intimen Fußball-Erlebnis.

Hubert-Houben-Kampfbahn Krefeld

Unscheinbar liegt sie zwischen Kleingärten, Stadtwald und Wohnsiedlungen: Die Hubert-Houben-Kampfbahn in Krefeld-Kliedbruch ist Kulisse für das Kopfkino, wenn man sich die frühen Jahre des Fußballs in Deutschland vorstellt. 1925 wurde das Stadion als „Sportplatz Blumenthal“ erbaut und später nach dem Leichtathleten Hubert Houben umbenannt, der in den 1920ern zu den weltbesten Sprintern gehörte.

1960 war es das erste westdeutsche Stadion mit einer (mittlerweile abgerissenen) Flutlichtanlage. Die historische Holztribüne bietet 600 Menschen Platz und gehört zu den ältesten noch erhaltenen Tribünen dieser Art in Deutschland. Ein Hingucker ist auch das aus Backstein gebaute Haus der Platzwarts am Eingangstor. Auf der Hubert-Houben-Kampfbahn spielt der KTSV Preussen Krefeld in der Kreisliga B2.

Grotenburg-Stadion, Krefeld

Die Grotenburg in Krefeld ist Sehnsuchtsort zahlloser Groundhopper und Fußball-Nostalgikerinnen. Die imposanten Betontribünen von 1975 (Süd) und 1986 (Nord) und die roten Flutlichtmasten zeugen von der Hochzeit der Fußball-Betontempel. Doch auch an diesem Exemplar mit dem Baujahr 1927 nagt der Zahn der Zeit. Jahrzehntelang wurde nicht in die Sanierung des Stadions investiert, was dem heimischen KFC Uerdingen vor die Füße fiel. Seit Mai 2018 hat er kein Heimspiel mehr in der Grotenburg bestreiten können. Da die Sanierungsarbeiten noch immer zäh laufen, packten die Fans unlängst selbst Hand an: Rund 450 handwerklich begabte KFC-Anhänger*innen leisten derzeit ihren Beitrag, damit der Regionalligist KFC Uerdingen möglichst bald wieder nach Hause kehren darf.

Text & Fotos: Friedemann Dupelius.