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Auf den Spuren von Gottfried Böhm in Köln und Düsseldorf

Sein wohl bekanntestes Werk entstand zwischen 1965 und 1968 im ansonsten eher verschlafenen Velbert-Neviges: Für den dortigen Mariendom wurde der Architekt Gottfried Böhm 1986 als erster Deutscher überhaupt mit dem renommierten Pritzker Prize ausgezeichnet. Aber auch in Düsseldorf und seiner langjährigen Heimat Köln hat Böhm zahlreiche Bauten aus Beton, Stahl, Glas und anderen Materialien hinterlassen. Eine Spurensuche. Das Lebenswerk des 2021 im Alter von 101 Jahren verstorbenen Baumeisters erstreckt sich über die gesamte zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts und bis in die Anfänge des 21. Jahrhunderts.

Konzentrierte sich Böhm in den 1960er Jahren noch auf den Bau von Kirchen, die mit den herkömmlichen Vorstellungen von Gotteshäusern oft gar nichts gemein hatten, schuf er in den Jahrzehnten danach auch Profanbauten, Siedlungen und städtische Freiräume. Als typisch für sein Werk gelten dabei zum einen die räumliche Präsenz, zum anderen das Skulpturenhafte. Letzteres kommt nicht von ungefähr, schließlich hatte Böhm neben Architektur auch Bildhauerei studiert und pflegte seit je her eine ausgeprägte Liebe zur bildenden Kunst.

Wallfahrtsstätte für Architekturstudenten

Unsere architektonische Spurensuche startet in Düsseldorf. Und ebenda in Garath. Für den gemeinen Landeshauptstädter gibt es nicht viele Gründe, den Stadtteil im tiefsten Düsseldorfer Süden aufzusuchen. Dass Garath trotzdem im Laufe der Jahre zu einer Art Wallfahrtsstätte für Architekturstudenten geworden ist, ist allein Gottfried Böhm zu verdanken. Nach seinen Plänen wurde zwischen 1968 und 1970 – und damit direkt nach dem Meisterwerk Mariendom – die katholische Pfarrkirche St. Matthäus im Stadtteil erbaut. Der Sakralbau bildet zusammen mit dem St. Hildegardis-Altenheim und der „schwebenden“ Hildegardiskapelle ein sehenswertes städtebauliches Ensemble, das den meisten Düsseldorfern unbekannt ist, obwohl Garath nur eine 20-minütige S-Bahn-Fahrt von der Innenstadt entfernt liegt. St. Matthäus selbst, seit 1999 unter Denkmalschutz, wirkt auf den ersten Blick wie eine wilde Melange aus Burg, Gesamtschul-Aula und Bunker. Zylinderförmige Türme aus rotem Ziegel treffen auf einen Corpus aus Sichtbeton und ein blechverkleidetes Dach, auf dessen Spitze ein kleines Kreuz thront. Den Innenraum der lediglich für Messen geöffneten Kirche dominieren ähnliche Materialien, große Fenster im Dachbereich sorgen für reichlich Licht. Die blutrote Farbe an der Kirchendecke und am äußeren Betonkörper soll als Verweis auf das Blut Jesu zum einen und auf das Feuer des Heiligen Geistes zum anderen verstanden werden. Auf Gegenliebe stieß all das natürlich nicht bei jedem: Der Architekturtheoretiker Heinrich Klotz, später Verfechter der Postmoderne, sah im Werk Gottfried Böhms eine „Überreaktion“ auf die „Klischeearchitektur“ der ehemaligen BRD.

Geschlossene Häuserfront

Von Garath aus geht es weiter nach Köln. Mit der S-Bahn-Linie S6 ist ein weiterer spektakulärer Bau des Herrn Böhm zu erreichen: die katholische Pfarrkirche St. Gertrud, die neben Gottesdiensten unter dem Namen „sankt gertrud: kirche + kultur“ auch mit Ausstellungen, Konzerten, Tanz- und Theaterstücken bespielt wird, liegt in unmittelbarer Nähe der S-Bahn-Station Hansaring. Fährt man von Norden kommend in den Bahnhof ein, ist der Bau, der zwischen 1961 und 1966 aus grobem Waschbeton mit einem schiefergedeckten Faltdach aus Beton entstand und für den Böhm 1967 mit dem Kölner Architekturpreis ausgezeichnet wurde, auf der linken Seite bereits gut sichtbar. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gotteshäusern ist die Kirche kein alleinstehendes Gebäude, stattdessen fügt sie sich nahtlos in die Häuserfront an der Krefelder Straße ein. An den schlanken, leicht abgerückten Glockenturm schließt das Gemeindezentrum nebst Pfarrhaus, Jugendheim, Kindergarten und Bücherei an. Das Pflaster des Vorplatzes setzt sich im Kircheninnenraum, der durch die von Böhm und Fritz Hans Lauten entworfenen Giebelfenster nur spärlich beleuchtet wird, fort. Für Bänke, Beichtstühle, Kanzel, Altar und Taufbecken – also den gesamten Innenraum – zeichnete ebenfalls Böhm verantwortlich. Bevorzugte Materialien hier: dunkles Holz und Metall.

Was lange währt…

Von St. Gertrud aus geht es zurück zum S-Bahnhof Hansaring. Von dort aus ist es lediglich eine Station mit der S12 bis zum Bahnhof Ehrenfeld. Über die Venloer Straße in Richtung Innenstadt erreicht man von dort aus in wenigen Minuten den letzten Bau, an dem Gottfried Böhm – gemeinsam mit seinem Sohn Paul – in seinem 101-jährigen Leben mitwirkte: die Ditib-Zentralmoschee. Ein Dutzend Jugendliche lungern auf der breiten Freitreppe, die zum Eingang führt, herum. „Sie fotografiert unser Zuhause“, ruft einer, als eine Passantin Fotos der Moschee macht. „Ich glaube, sie wird eine gute Muslima.“ Die Angesprochene lässt das unkommentiert und schaut auf die Spitze der beiden filigranen von jeweils zwei Kupferringen ummantelten Minarette, die 55 Meter in den blauen Kölner Himmel ragen. Eine Höhe, die vor dem Baustart in der Domstadt durchaus kontrovers diskutiert wurde, auch wenn der benachbarte Fernsehturm Colonius die beiden Türme mit seinen 266 Metern um ein Vielfaches überragt. Nach der Grundsteinlegung im Jahr 2009 war das erste Freitagsgebet in dem Ehrenfelder Bau zunächst für 2012 geplant. „Wenn der Kölner Dom fertig ist, geht die Welt unter“, heißt es in der Rhein-Metropole so schön. Ganz so extrem kam es im Fall der Zentralmoschee nicht. 2018 wurde sie eröffnet. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Ergogan, damals gerade auf Deutschlandbesuch, reiste zur Eröffnungsfeier nach Ehrenfeld. Der damalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker sagten daraufhin ihre Teilnahme an der Veranstaltung, die unter massivem Polizeischutz abgehalten wurde, ab. Trotz all dieser Querelen gilt die Gebäudekomplex aus Beton, Glas und Holz mit der 36,5 Meter hohen transparenten Kuppel heute als einer der wichtigsten Beiträge zum zeitgenössischen Sakralbau des Islam in Europa. Dem Katholiken Gottfried Böhm ist es dabei zu verdanken, dass rechtsradikale Kräfte, die den Bau der Moschee verhindern wollten, sich nicht durchsetzen konnten. Die Moschee kann auch besichtigt werden: Mittwochs, freitags, samstags und sonntags finden jeweils um 15 Uhr öffentliche Führungen statt.

Bunter Hund

Folgt man der Venloer Straße weiter stadteinwärts gelangt man innerhalb von circa 20 Minuten zum Kölner Hauptbahnhof. Dort besteigt man die S11, um zur letzten Station der architektonischen Rundfahrt zu gelangen – und damit in einen Stadtteil, dem ein ähnlicher Ruf vorauseilt wie jenem, in dem diese Tour startete. Chorweiler ist sozusagen das Kölner Pendant zu Düsseldorf-Garath. Ab 1957 errichtet, gehört das Viertel zu den größten Trabantenstädten der Bundesrepublik. Um eine möglichst vielfältige Optik zu gewährleisten, wurden die Bauaufgaben damals an verschiedene Architekturbüros verteilt. Die von Gottfried Böhm geplante Wohnanlage an der Riphanstraße hebt sich dabei durch ihren Formen- und Farbenreichtum bis heute deutlich vom restlichen Erscheinungsbild des Viertels ab. Die meisten Bewohner Chorweilers haben von Böhm, dem Architekten von Weltrang, vermutlich trotzdem noch nie gehört. Die vom Tag ziemlich geschafft wirkenden Passantin weiß angesichts des Fotos von dem Wohnkomplex, dessen rot, gelb und blau verkleidete Balkone an den Konstruktivisten Piet Mondrian gemahnen, dennoch gleich Bescheid – und weist der Ortsfremden bereitwillig den Weg. Herz des Ensembles ist ein viertelkreisförmiger Platz, der an einer Seite durch ein der Rundung des Platzes folgendes 9-stöckiges Apartmenthaus begrenzt ist. Auch bei diesem Projekt geizte Böhm nicht mit seinem liebsten Material. Sämtliche Gebäude des Komplexes in der Siedlung Seeberg-Nord sind aus Beton mit Fassaden aus Sichtbeton. Mit dem Adjektiv „brutalistisch“ wollte der Architekt seine Werke dennoch nicht belegt wissen, wie er zu Lebzeiten unterstrich. „Ich möchte doch nicht als brutaler Mensch gelten, einer der brutalistisch baut“, hat Böhm mal gesagt. „Nur weil ich Beton verwende? Sind Kirchen in Granit dann auch brutalistisch? Mir geht es um Wärme. Das möchte ich haben: Dass meine Bauten innen drin und auch außen Wärme ausstrahlen.“ Letzteres beweist Böhm in Chorweiler nicht zuletzt durch die Art und Weise, wie er die Wohnungen geplant hat. Die sind nämlich nach zwei entgegengesetzten Himmelsrichtungen geöffnet und machen so den Tagesrhythmus des Lichts erfahrbar. Die Küche liegt dabei als verglaster Raum in der Mitte der Wohnungen. Es geht also keinesfalls nur um die Form, sondern auch um die Funktionalität.

Adressen:

St. Matthäus, René-Schickele-Straße 6, Düsseldorf-Garath

St. Gertrud, Krefelder Straße 57, Köln-Neustadt-Nord

Ditib-Moschee, Venloer Straße 160, Köln-Ehrenfeld

Siedlung Seeberg-Nord, Riphanstraße, Köln-Chorweiler