Paris, Mailand, New York, Mönchengladbach. Nach einer internationalen Karriere hat Modedesignerin Angelika Kammann einen wagemutigen Schritt unternommen. Hinein in die Selbständigkeit und zurück an den Ort ihrer Kindheit.
An der Peter-Nonnenmühlen-Allee in Mönchengladbach reihen sich große Einfamilienhäuser aneinander. Sie sind umgeben von weitläufigen Gärten mit gepflegten Rasenflächen, hochgewachsenen Bäumen und ausladenden Hortensien. Am Metalltor der Nummer 83 steht kein Name, doch in dem spitzgiebeligen Haus dahinter lebt und arbeitet einer der spannendsten Neuzugänge der deutschen Modeszene: Angelika Kammann, die Gründerin des Labels Société Angelique.
Angelika, du hast gerade gemeinsam mit der französisch-kolumbianischen Fotografin Karen Paulina Biswell den Preis des Strike-a-pose-Festivals 2022 gewonnen. Was bedeutet dir diese Auszeichnung?
Die Auszeichnung bedeutet mir sehr viel, da ich zusammen mit der Galerie wildpalms und Karen Paulina Biswell an einem uns sehr wichtigen Thema gearbeitet habe, nämlich der Rückbesinnung auf die eigene Körperlichkeit. Biswells Serie ‚Ellas//Sie‘, die für mich Leichtigkeit und das Mysterium der Weiblichkeit widerspiegelt, hat mein Herz berührt. Ich freue mich sehr, dass die Jury des Strike-a-pose-Festivals die Message als besonders und zeitgemäß empfunden hat, gerade jetzt, da in Amerika das Urteil gegen das liberale Abtreibungsrecht für Fassungslosigkeit sorgt. Auch freut es mich, dass wir mit dem Award die Mission von wildpalms unterstützen können, lateinamerikanischen Künstler*innen in Deutschland eine Bühne zu geben.
Wir durften deine Erstlingskollektion im Sommer 2021 während des Strike-a-pose-Festivals in Düsseldorf in der Galerie Wildpalms kennenlernen. Das war Weltpremiere, nicht wahr?
Ja, und die Galerie wildpalms war die perfekte Bühne. Das Strike-a-pose-Festival rückt ja das Zusammenspiel von Kunst und Mode ins Zentrum, und meine Kollektion ist zum einen von dem Bühnenbild von Robert Rauschenberg inspiriert, das er für das Stück ‚Summerspace‘ der Tanzkompagnie von Merce Cunningham entworfen hat. Zum anderen geht es mir um einen bewussten Umgang mit der Natur und unseren Ressourcen. Daher passte die parallel präsentierte Arbeit der kolumbianische Soundkünstlerin Beatriz Eugenia Díaz, die das Wachstum von Pflanzen in Töne übersetzt, perfekt zu meinen Entwürfen.
Du hast dein Label mitten in der Pandemie gegründet. Ein mutiger Schritt. Warum gerade jetzt?
Die Zeit schien reif dafür. Ich hatte zuvor für das Label Wunderkind von Wolfgang Joop gearbeitet und er hat mich bestärkt, meine Kreativität auszuleben. 2019 habe ich dann das Wagnis unternommen. Ich sagte mir: Wann, wenn nicht jetzt, könnte man die Dinge einmal grundsätzlich anders denken? ‚Einfach machen‘ war schon immer meine Devise.
Diese Einstellung hat dich schon weit gebracht. Du hast in Paris, Mailand und New York gearbeitet. Dein Lebenslauf ist atemberaubend. Neugier und Abenteuerlust scheinen deine ständigen Begleiter gewesen zu sein. Wie ist es, wieder zurück im Rheinland zu sein?
Ich bin der Liebe wegen hierher zurückgekehrt, um mit meinem Lebensgefährten, mit dem ich in jahrelanger Fernbeziehung gelebt habe, zusammen zu sein. In meiner Sturm-und-Drang-Zeit wollte ich einfach nur weg, je weiter, desto besser. Jetzt sehe ich meine Heimat mit anderen Augen. Ich bin ganz in der Nähe meines jetzigen Zuhauses am Bunten Garten aufgewachsen und genieße es sehr, die Orte meiner Kindheit wiederzuentdecken.
Du schöpfst aus einem großen Erfahrungsschatz, hast unter anderem für Strenesse und Escada, beides Größen der deutschen Modewelt, gearbeitet. Was ist dir bei deiner eigenen Kollektion am wichtigsten?
Neben dem Look ist es die Nachhaltigkeit. Alle unserer Stoffe sind biologisch abbaubar. Wir verwenden Baumwolle, Wolle und Seide, außerdem FSC-zertifizierte Viskose und Acetat – beides hergestellt aus natürlicher Zellulose. FSC steht für Forest Stewardship Council und kennzeichnet eine nachhaltige Wald- und Plantagenwirtschaft. Unser Leder stammt von Produktionsüberhängen – ich bekomme es in Duisburg. Produziert wird in Deutschland und Polen. Damit unsere Klientel die Herstellung nachvollziehen kann, ist an jedem Kleidungsstück ein QR-Code befestigt, der über unsere Philosophie, die Materialien und Produktionsstätten Auskunft gibt. Das Thema Nachhaltigkeit hört übrigens bei den Bügeln und Verpackungen nicht auf. Um die Plastikhüllen zu umgehen, suchen wir gerade nach Hüllen, die auf Maisbasis hergestellt werden. Du siehst: Es gibt viele Möglichkeiten, etwas zu verbessern.
Du hast deine erste Linie ‚Summerspace‚ Toreros in Utopia‘ getauft. Warum?
Weil wir in meinen Augen alle Toreros sind. Insbesondere die Frauen, die sich in vielen Bereichen noch immer ganz schön durchkämpfen müssen – zum Beispiel bei der Gleichbehandlung im Job. Meine Jackenformen und Ärmelschnitte erinnern daher an die traditionelle Kleidung der Stierkämpfer.
Deine Linie sieht ultramodern aus und feiert die weibliche Silhouette mit den Stilmitteln klassischer Frauen- und Männerbekleidung. Dein Spektrum reicht vom Femme-Fatale-Kleid bis zum übergroßen doppelreihigen Jackett. Damit gehörst du zu denen, die widerlegen, dass nachhaltige Mode einen bestimmten Look verfolgen oder einen Öko-Touch haben muss. Was inspiriert dich?
Da fallen mir Künstler, Filme, historische Ereignisse ein, aber auch die Natur. Bei meiner ersten Kollektion waren es Merce Cunningham und Robert Rauschenberg, aber auch der Film ‚In the Mood for Love‘ von Wong Kar-Wai, der mich zu den Blumenmustern inspiriert hat.
Trotz dieses breit gefächerten Einflusses wirkt deine Kollektion sehr stringent, wie aus einem Guss. Wohl auch ein Grund dafür, weshalb sie so begeistert aufgenommen wurde.
Ich hatte riesengroßes Glück. Christiane Arp, die ehemalige Chefredakteurin der deutschen Vogue, ist auf mich aufmerksam geworden und hat mich in den Berliner Salon eingeladen. Das ist eine sehr exklusive Veranstaltung, bei der ausgewählte deutsche Labels ihre Kollektionen zeigen, und das war schon ein Ritterschlag. Zudem konnte ich mit der ersten Kollektion unter anderem das KaDeWe in Berlin als Kunden gewinnen.
Du arbeitest bereits an der zweiten Kollektion.
Ja, sie wird ‚Reflections of Utopia‘ heißen. Nach der ersten Kollektion, aber auch nach den Monaten mit der Pandemie ist es in meinen Augen Zeit, das Geschehene zu reflektieren. Meine Inspirationen sind die Figur ‚Trinity‘ aus dem Film ‚Matrix‘, aber auch das Bauhaus, Le Corbusier und der Künstler Anish Kapoor. Im Zentrum steht ein futuristischer Look mit Anleihen an die 80er Jahre – und selbstverständlich kommen spiegelnde Oberflächen darin vor.
Einen derartigen Look mit nachhaltigen Materialien zu übersetzen ist bestimmt gar nicht so einfach, oder?
Stimmt. Es ist ein bisschen wie die Quadratur des Kreises. Aber ich möchte einfach zeigen, dass nachhaltige Mode auch das kann. Die Materialrecherche ist stets ein sehr wichtiger und spannender Teil meiner Arbeit. Zum Beispiel bin ich hier in Mönchengladbach gerade auf einen tollen recycelten Denim gestoßen, den ich unbedingt verwenden möchte. Wir arbeiten übrigens auch zu 100 Prozent Zero Waste. Denn das hat mich bei meiner Arbeit in der Industrie wirklich gestört: dass oft ganze Ballen von Stoffen übrigbleiben. Entweder weil man sich für eine andere Farbe entscheidet oder weil das Teil letztlich gar nicht produziert wird. Ich glaube, wir stehen erst am Anfang einer Bewegung, die die Mode verändern wird. Es gibt eine Chance auf Verbesserung und ich möchte Teil davon sein. Das ist tatsächlich anders als bei Matrix. Meine Utopie ist nicht apokalyptisch, sondern positiv und hoffnungsvoll.
Société Angelique
Peter-Nonnenmühlen-Allee 83
41063 Mönchengladbach