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In einem Hinterhof in Flingern erhält ein jahrhundertealtes japanisches Handwerk ein neues Gewand. Wo früher Einheitsbrote gebacken wurden, entstehen heute textile Unikate.

Consum – der Name, der in gefliester Riesenpixelschrift über der Hofeinfahrt prangt, führt etwas in die Irre, denn tatsächlich endet im Hinterhof die Welt des Kommerzes, die Welt der Baumärkte und Waschstraßen, für die die Gegend rund um die Ronsdorfer Straße bekannt ist. Früher, ja, da wurden hier Brötchen am Fließband gebacken, in der Backfabrik, die hier ihren Sitz hatte. Heute jedoch verdienen sich die Mieter ihr Leben mit Kunst, Musik, Fotografie und Mode.

So wie der japanische Designer Hiroyuki Murase, der mit seinem Label Suzusan im Erdgeschoss eines der denkmalgeschützten Backsteingemäuer zuhause ist. Drei Räume, deckenhohe Regale, aus denen Stoffe quellen, ein großer Zuschneidetisch, Kleiderstangen, auf denen Pullover, Röcke und Mäntel dicht an dicht hängen – inspirierendes kreatives Durcheinander. Hiroyuki ist 38. Unter seinem olivgrünen Cardigan lugt der unregelmäßig gefärbte Saum seines Hemdes hervor. „Unsere Kollektion Suzusan basiert auf der traditionellen japanischen Färbetechnik Shibori“, erklärt er.

Reservierungsfärben nennt es der Fachmann, wenn Stoffe vor dem Färben partiell abgedeckt oder abgebunden werden, so dass die Farbe nicht überall eindringt und sich Muster ergeben. „Die Shibori-Methode ist mit der Batikfärbetechnik verwandt, jedoch weitaus komplexer und facettenreicher. Denn beim japanischen Shibori wird der Stoff nicht nur abgebunden, sondern auch gefältelt, gewickelt, gepresst oder genäht.“ Hiroyuki holt ein Stoffläppchen, auf dem sich ein fest umwickelter Zipfel an den anderen reiht. „Ein sehr aufwändiges Handwerk“, meint er, und kaum merklich huscht ein stolzes Lächeln über sein Gesicht.

Ganze 200 Unterdisziplinen kennt Shibori, und sie sind auch miteinander kombinierbar. Dank dieses schier unerschöpflichen Universums an Mustermöglichkeiten gehen Hiroyuki Murase seit 2008, dem Jahr der Gründung von Suzusan, die Ideen nicht aus.

Mal erweckt er abstrakte Muster in kräftigem Blau und Pink auf hellgrauem Kaschmir zum Leben, dann wieder kommen platzierte figürliche Darstellungen zum Einsatz, etwa ein stilisierter Kranich oder eine Schildkröte – beide Tiere stehen in der japanischen Mythologie für ein langes Leben. Allen Entwürfen gemein ist die Unregelmäßigkeit.

‚Wabisabi’ nennt sie der Japaner, diese unperfekte Schönheit, wie nur die Natur sie hervorbringt. Denn ganz kontrollieren lässt es sich nicht, wenn man einen weichen Kaschmirpullover mit abgebundenen Partien stückweise in einen Farbbottich taucht. Es ist immer eine Überraschung, was dabei herauskommt. In jedem Fall ein Unikat.

Hiroyuki ist der Kunst wegen nach Düsseldorf gekommen, er studierte Bildhauerei an der Kunstakademie. Seine Familie jedoch lebt in Arimatsu bei Nagoya, 9000 Kilometer vom Rheinland entfernt. Dort lässt Hiroyuki Murase seine Kollektion produzieren, im familieneigenen Betrieb.

In Arimatsu war die große Shibori-Vielfalt zuletzt bedroht. „Vor 50 Jahren arbeiteten 10 000 Handwerker in meinem Heimatort. Die Methode ist jedoch zeitintensiv, die alten Shibori-Meister starben, die Technik schien langsam zu verschwinden“, sagt der Designer.

„Als ich Suzusan gründete, waren nur noch 200 Handwerker übrig.“ Heute sind es wieder deutlich mehr und vor allem auch jüngere Leute, die sich für Shibori interessieren. Allein knapp zwanzig von ihnen helfen Hiroyukis Familie vor Ort bei der Produktion.

Es ist ein bisschen verrückt, aber erst als ich nicht mehr in Japan wohnte, wurde mir bewusst, wie wertvoll unsere Traditionen sind.

Hiroyuki MuraseDesigner & founder Suzusan

Der Vater Hiroshi ist seit 45 Jahren im Textilgeschäft, Hiroyukis Bruder und seine Schwester sind ebenfalls ins Geschäft eingestiegen. Denn inzwischen umfasst Suzusan rund 120 Teile für Männer und Frauen, die besten internationalen Modegeschäfte kaufen bei Hiroyuki Murase ein, der darüber hinaus Decken und Kissen entwirft. Und seit Dezember 2020 nun auch Ladeninhaber ist: Damit seine Linie nicht nur in Berlin, New York und Tokio zu haben ist, sondern eben auch in Düsseldorf, richtete er gleich neben dem Atelier einen Shop von 70 Quadratmetern ein – für Suzusan und für seine Freunde.

Denn als geborener Netzwerker verkauft der smarte Japaner hier nicht nur seine eigene Kollektion, er hat eine Hand voll Gleichgesinnter um sich versammelt, die ebenfalls ausschließlich Unikate fertigen.

So ergänzen der filigran gehäkelte Schmuck der Designerin Stephanie Schneider, die in sich gemusterten Hirota-Gläser und die nachhaltigen Taschen aus Wildtierleder von Six Coup de Foudre die Mode von Murase kongenial. Ein bisschen Konsum ist also zurück im Flingeraner Hinterhof. Doch statt billiger Einheitsschrippen gibt es nun wertvolle Einzelstücke.

Nicht alles war früher besser.

Text: Ilona Marx | Fotos: Suzusan & The Dorf – The Mag Robin Hartschen