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Kunst und Leben in einer Einheit verschmelzen – der von Mäzen und Kunstvermittler Karl Ernst Osthaus formulierte Folkwang-Gedanke, den Joseph Beuys zum Leitbegriff erhob, hat Young-Jae Lee bereits in den 1970er Jahren stark beeinflusst. Seit 1987 leitet die Koreanerin die Keramische Werkstatt Margaretenhöhe. Ihre Formensprache atmet den Geist von Constantin Brâncuși und dem Bauhaus. Die von ihr gefertigten Stücke sind immer wieder Teil von Kunstausstellungen, Young-Jae Lees Spindelvasen werden für 10 000 Euro gehandelt. Dennoch bezeichnet sich die 72-Jährige nicht als Künstlerin, sondern schlichtweg als Töpferin. Tatsächlich ist ihr Gebrauchsgeschirr etwas erschwinglicher als die Vasen. Doch damit sind die von einem Team von Meister*innen seriell gefertigten Schüsseln, Schalen, Trinkbecher, Krüge, Kannen und Teller, die traditionell in sechs unterschiedlichen Glasuren aufgelegt werden, nicht minder original. Wir trafen Lee in ihrer Werkstatt auf dem Gelände der Essener Zeche Zollverein und sprachen mit ihr über ihre erste Berührung mit dem Material Keramik und die Freiheit, die in der Beschränkung liegt.

Was unterscheidet Ihre Arbeiten von herkömmlicher Keramik?

Wir gehen immer von geometrischen Grundformen aus. Und unsere Gefäßformen entstehen aus der handwerklichen Technik heraus. Anders als sonst bei europäischer Keramik, die oft von einem starken Designdenken geprägt ist, ergeben sich hier die Formen ganz aus dem Drehen an der Töpferscheibe. Wie in der asiatischen Töpferkunst arbeiten wir in unserer Werkstatt von innen nach außen und von unten nach oben: So entsteht Volumen. Das ist den Gefäßen jeder Größe anzumerken.

Haben sich Ihre Formen im Laufe der vergangenen Jahre verändert?

Nein. Wir haben 1987 eine Formensprache entwickelt, die seither unverändert ist. Das erste Stück war eine Müslischale. Später haben wir einen Trinkbecher hinzugenommen, einen Krug, einen Teller. In monatelangen Experimenten entstand ebenfalls bereits 1987 unsere sechstonige Farbskala: ein mattes und ein glänzendes helles Blaugrün, eine mattes und ein glänzendes Dunkelgrün, ein gebrochenes Weiß und ein Rostbraun. Das alles ist seither gleich geblieben. Was sich jedoch verändert hat: Mit der fortlaufenden Anpassung an die zeitgenössische Tischkultur haben wir Formen und Formate hinzugenommen, darunter auch Vasen, Pflanzengefäße und Dosen. Insgesamt gibt es nun 50 verschiedene Modelle.

Welcher Reiz liegt für Sie im Beibehalten dieses Repertoires?

Für mich ist – und damit folge ich der koreanischen Tradition – nicht die ständige Neuerfindung von Formen entscheidend, sondern die vollkommene Beherrschung meines vorhandenen Repertoires. Erst mit der Verinnerlichung der Formen wird die tägliche Arbeit an der Drehscheibe jenseits aller Routine zu einer Art Exerzitium. Das gibt uns Freiheit. Die Persönlichkeit der Dreher*innen beginnt einzufließen. Ihre Individualität drückt sich dann im Handwerklichen aus.

Sie arbeiten hier im Team mit mehreren Meister*innen.

Ja. Michael Schmandt, der seit nunmehr 50 Jahren hier beschäftigt ist, die Polin Daniela Glattki und die Japanerin Shoko Ishioka sind unsere Meister*innen. Ich selbst drehe nur Einzelstücke. Estar Halfmann und Leonie Muelbredt machen gerade eine Ausbildung. Wir sind übrigens der einzige Töpferei-Betrieb in Nordrhein-Westfalen, der noch Lehrlinge ausbilden darf.

Sie beschäftigen sich seit über fünf Jahrzehnten mit Ton. Erinnern Sie sich, wie Sie zum ersten Mal mit Keramik in Berührung gekommen sind?

Ja, sehr genau. Mein koreanischer Großvater, ein konfuzianischer Gelehrter, besaß große weiße Aufbewahrungsgefäße aus Keramik, in denen er unter geöltem Reispapier getrocknete Khakis aufbewahrte. Wenn ich zu ihm kam, durfte ich das Reispapier zur Seite nehmen und eine der köstlichen Khakis essen. Schon damals als Kind liebte ich diese Gefäße. Später, als 20-Jährige, ging ich nach Deutschland, um die Herstellung von Keramik an einer Kunstakademie zu erlernen. Ich wollte nicht nur die Technik des „porzellanartigen Steinzeugs“, wie man es in Korea nennt, studieren, sondern meinen Horizont künstlerisch erweitern. Als Studentin tauchte ich dann tief in die abendländische Kulturgeschichte ein – und stellte dabei fest, dass man in Deutschland zum damaligen Zeitpunkt wenig über koreanische Kunst wusste. Auf der Suche nach meiner eigenen künstlerischen Position habe ich hier, in Europa, die koreanische Kultur wieder neuentdeckt.

Einfluss

Was sind die wichtigsten europäischen Einflüsse, die sich in der Arbeit in der Keramische Werkstatt Margaretenhöhe niederschlagen?

Ich habe Formgestaltung an der Fachhochschule Wiesbaden, der früheren Wiesbadener Werkkunstschule, bei Professor Erwin Schutzbach studiert. Er war der wichtigste Lehrer für mich. Meine Bewunderung galt Constantin Brâncuși und Alberto Giacometti, aber auch Joseph Beuys. Als ich hörte, dass in der Keramischen Werkstatt Margaretenhöhe eine neue Leitung gesucht wird, hat mich der Gedanke gereizt, in der Tradition des Bauhaus zu arbeiten. Denn wenngleich die Keramische Werkstatt Margaretenhöhe keine Bauhauswerkstatt ist, ist sie doch in dieser Tradition verwurzelt.

Wie sieht die Zukunft der Keramischen Werkstatt Margaretenhöhe aus?

Momentan und noch bis zum 23. April läuft die Ausstellung „Contemporary Craft“ im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, zudem vertritt uns – zusätzlich zur Münchner Galerie Jahn & Jahn aus München – neuerdings die Kölner Galerie Karsten Greve. Dort werden meine Einzelstücke angeboten. Wir sind aber auch in der Werkstatt offen für Neues: Im Moment ist ein Produktdesignstudent aus Münster hier zu Gast, der eigene Entwürfe entwickelt. Was unser Gebrauchsgeschirr betrifft: Es ist fast ein bisschen eine Krux, dass es so extrem langlebig ist. Doch wir haben eine treue Klientel. Oft kommen die Kinder von früheren Kund*innen, die ein Service von ihren Eltern geerbt haben, um ihre Sammlung zu ergänzen.

Inspiration von der Margaretenhöhe

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